Aber um was geht es eigentlich, was haben Venter, Hamilton und Co. gemacht? Sie haben mit einem Gerät namens DNA-Synthesizer mehrere Stücke DNA hergestellt, und sie in Hefezellen zu dem kompletten Genom von Mycoplasma genitalium zusammenbauen lassen. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung synthetische Lebewesen, mehr aber nicht. Die Welt wird sicher nicht davon untergehen. Aber sehen wir mal, was gestandene Wissenschaftsjournalisten dazu meinen:
Vor etwa fünf Jahren formulierte er sein neues Ziel – Leben schaffen aus toter Materie.Und wie entsteht sonst in der Natur Leben? Eine dem Lebendigen eigene Kraft, die vis vitalis, wurde vor 150 Jahren mit der Synthese von Harnstoff widerlegt. So funktioniert das eben - man nehme ein paar Chemikalien, baue sie auf eine bestimmte Art zusammen, und voila: Leben!
Nun hat Venters Team in Rockville bei Washington das Erbgut des kleinen einzelligen Lebewesens nachgebaut. Über eine halbe Million Erbbausteine, sogenannte Nukleotide, wurden im Labor zusammengefügt, verkündet Venters oberster Konstrukteur, der 76-jährige Nobelpreisträger Hamilton Smith.Wie gesagt, das Zusammenbauen macht eine Maschine, da muss niemand im Labor stehen und diese komischen Nukleotide hin- und herschieben (wie wir noch sehen, steht der Autor auf Worte, die mit "Erb-" beginnen...). Die Methode, nach der ein DNA-Synthesizer funktioniert, wurde übrigens schon 1984 mit einem Nobelpreis belohnt (Bruce Merrifield). Die Leistung ist nicht, wie hier dargestellt wird, die Synthese an sich, sondern die Synthese von relativ langen Stücken DNA, was eher schwierig ist.
Das Team um Venter und Smith hat damit ein Erbmolekül synthetisiert, das mehr als zehnmal länger ist als der bisherige Rekordhalter; der besaß gerade einmal 35000 Erbgutbausteine. Allerdings hatten die US-Forscher Hilfe aus der Biologie: Ohne Hefezellen hätte es nicht funktioniert, gesteht Hamilton Smith.Nein, auch wieder falsch. Synthetisiert haben sie mehrere Stücke des Genoms, nicht das ganze Genom am Stück. Doch dazu gleich mehr, genauso wie zu der Hilfe aus der Biologie.
Die Biochemiker im Venter-Institut bauten 101 DNA-Erbmoleküle nach dem Vorbild von Mycoplasma genitalium im Labor zusammen. Dieses Puzzle war zunächst reine Biochemie. Jedes Segment besaß zwei überlappende Sequenzen, für die Nachbarn zur Rechten und zur Linken. Die Hefe wusste, was sie zu tun hatte und baute daraus ein vollständiges Bakterienchromosom. Das ist zwar noch kein künstliches Leben, […] aber eine Art synthetisches Betriebssystem für ein künstliches Lebewesen. Damit könnte eine tote Zelle ohne eigenes Erbgut zum Leben erweckt werden.Ah, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Leider für Laien sehr missverständlich. Wie schon gesagt wurde nicht das komplette Genom, sondern nur Fragmente mit einem DNA-Synthesizer hergestellt. Und wieso Biochemiker? Das stärkt noch einmal das Bild, dass da jemand lange Stücke DNA aus den einzelnen Bausteinen von Hand zusammengesetzt hat. Dazu braucht man keine biochemische Ausbildung. Man gibt dem Synthesizer über einen Computer die gewünschte Sequenz, und der spuckt die DNA dann irgendwann aus. Fertig. Die Forscher haben der Hefe dann aber nicht gesagt: "Nimm Fragment A, und bau in der richtigen Orientierung dann Fragment B an. Dann machst du mit Fragment C weiter, etc." Die Hefe "wusste" also nichts. Hamilton und Kollegen haben sich nur eine tolle Eigenschaft von Hefen (und vielen weiteren Organismen) zunutze gemacht, die hier sehr zuhause ist: die homologe Rekombination. Denn anders als z.B. beim Menschen spielt die homologe Rekombination bei Hefe eine wichtige Rolle; vielzellige Lebewesen nutzen dagegen bevorzugt die nicht-homologe Endverknüpfung (das nur am Rande, demnächst muss ich mal nen eigenen Post zu den beiden Wegen schreiben). Wichtig hier ist nur folgendes: Unter anderem als Reparaturmechanismus nimmt die homologe Rekombination zwei DNA-Fragmente, die Abschnitte mit gleichen Sequenzen haben, und verknüpft sie genau an diesen Stellen. Da war es also nicht dumm, die DNA-Fragmente von Mycoplasma genitalium so zu synthetisieren, dass sie an den Enden überlappten. Der Mechanismus was den Forschern also bekannt; es war eher mutig, das mit einem ganzen Genom zu versuchen.
Und es ist wirklich kein künstliches Leben, sondern nur eine Menge DNA. Sie konnten aber erstmals zeigen, dass man Bakteriengenome vollständig synthetisch herstellen kann. Und mal ganz ehrlich: Man braucht nur ein Genom, und nur eine tote Zelle (auch blöd ausgedrückt, gemeint ist einfach eine Zelle, der man ihr eigenes Genom entfernt hat), und schon hat man ein Lebewesen, das sich dann selbst vermehren kann.
Genau das wäre der nächste Schritt zum künstlichen Lebewesen, zunächst streng nach dem Vorbild der Natur. Dieser Schritt jedoch steht noch aus. Dass man ein Erbgut verpflanzen kann, haben Venters Forscher bereits voriges Jahr zeigen können. Dass sie nun noch nichts von derartigen Versuchen berichten, könnte bedeuten, dass die Verpflanzung des synthetischen Mycoplasma-Erbgutes nicht so einfach funktioniert wie gedacht, vermuten Kritiker.Genau, die Veröffentlichung vom letzten Herbst [auch nicht frei zugänglich] war auch ein sehr methodisches Paper, das einfach gezeigt hat, dass etwas möglich ist. Genau wie hier. Jetzt aber zu behaupten, dass entsprechende Versuche nicht geklappt hätten, weil sie nicht im aktuellen Paper stehen, ist sicher falsch. Denn jeder, der den wissenschaftlichen Alltag kennt (die Wissenschaftsjournalisten der Deutschen Welle wohl nicht?), weiß dass da immer mehrere Projekte nebenher laufen. Die beiden Artikel wurden ja fast zeitgleich veröffentlicht (ja, bei uns machen zwei-drei Monate nicht viel aus), es arbeiteten also Arbeitsgruppen parallel an den beiden Projekten. Gut möglich, dass die Genomtransplantation also bisher noch nicht versucht wurde. Das aktuelle Prinzip des "publish or perish" in der Wissenschaft liefert eine weitere Erklärung. Denn vielleicht hat die Genomtransplantation ja schon geklappt, und Venter will nur eine weitere Veröffentlichung dafür, anstatt sie an die aktuelle dranzuhängen.
Nach dieser Besprechung der Forschungsergebnisse wurde den Hörern dann noch ein wenig über Craig Venter selbst vor den Latz geknallt. Sorry, aber mit neutralem Journalismus hat das folgende gar nichts mehr zu tun. Wer sich antun möchte, das MP3-File anzuhören, kann den herablassenden Tonfall der Dame Wissenschaftsjournalistin sicher auch hören.
...umstrittenes Genie und Enfant terrible – der Gen-Revoluzzer Craig Venter...Der Mann hat viel erreicht, er hat die Wissenschaft enorm vorangebracht. Ja, viele Wissenschaftler können nicht mit seinen Methoden, aber was soll das? Gen-Revoluzzer?!? So eine Sprache erwarte ich in der Bild, aber nicht ein einem wissenschaftlichen Beitrag.
Schnell, schnell, am besten mit unkonventionellen und oft auch umstrittenen Methoden.Ach, angenommen, es gäbe also eine konventionelle Methode, die besser funktioniert. Dann würde Venter aber trotzdem die unkonventionelle wählen? Sicher nicht. Der Mann bedient sich unkonventioneller Methoden, weil er an der vorderen Front arbeitet, da gibt es nun mal keine etablierten. Und umstritten sind seine Methoden zumindest unter Wissenschaftlern nicht wirklich...
Und dabei Gott spielen? Kein Problem für ihn.Wenn das bedeutet, dass jeder, der DNA von einem Organismus in einen anderen überträgt, Gott spielt, dann machen das hunderttausende täglich, ich eingeschlossen. Davon abgesehen geht dieser Satz empfindlich nahe in Richtung kreationistisches Denken. Nicht Gott schafft neue Arten, sondern die Evolution. Die synthetische Biologie nimmt dabei nur eine Abkürzung.
Lachen tut er selten, und oft sieht es aus, als würde der Mann mit der Halbglatze und den stechend blauen Augen die Zähne fletschen.Wie gesagt, Bild-Niveau. Mehr brauche ich dazu eigentlich auch nicht zu sagen...
Lebewesen emailen und am Computer wieder zusammenbauen. Denn auch Gene sind ja nur digitale Informationen. Bits und Bytes, Technik, nichts weiter. Das sagt Venter so, als wären solche Gedanken das normalste der Welt. Ethische Bedenken? Ach wo.Nein, genau andersrum! Nicht die Lebewesen werden per Mail verschickt, sondern die Information, die Sequenz ihres Genoms. Und wiese so abschätzig? Es ist nunmal so, dass Gene Informationen sind. Und das denkt nicht nur Venter. Das wissen wir schon ein paar Jahrzehnte, seit den 50er/60er Jahren des letzten Jahrhunderts, um genau zu sein. Außer diesem abschließenden Satz findet sich übrigens nichts über ethische Bedenken, nicht ein Argument. Ich muss also davon ausgehen, dass hier einfach nur ein Schlagwort in den Raum geworfen wurde.
Wer jetzt meint, ich hätte nur die schlimmsten Sätze aus dem Beitrag rausgepickt, darf sich wie gesagt gern die 10 Minuten antun und sich diese Folge des Podcasts anhören. Der Beitrag findet sich als MP3 oben verlinkt.
Was vor lauter Panikmache und Fehlinformation in den beiden Beiträgen gar nicht zur Sprache kam (aus Zeitgründen? Tipp an die Redaktion: Weniger Emotion, mehr Information!) möchte ich noch ergänzen: Wir, also die Menschheit im allgemeinen, hat hier eine unglaublich vielversprechende Methode gezeigt bekommen, die auf lange erprobten Technologien beruht. Wenn Venter sagt, dass man damit Organismen erzeugen könnte, die umweltverträgliche Brennstoffe produzieren, oder dass man unglaublich gute Abfallverwerter herstellen kann, dann ist das eine plausible Idee. Bis es aber soweit ist, werden noch einige Jahre vergehen. Angst um Bioterror braucht man sich aber meiner Meinung nach nicht zu machen. Denn diese künstlich erzeugten Lebewesen haben einen entscheidenden Nachteil, sobald sie in der Natur mit anderen Organismen interagieren müssen: Sie sind maßgeschneidert für einen bestimmten Einsatz und werden mit den etablierten Arten nicht konkurrieren können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen