Sonntag, November 30, 2008

Wiener G'schichten

Ich habe eine Entschuldigung, warum ich so lange nichts mehr geschrieben habe: Seit fast einer Woche bin ich in Wien am Gregor-Mendel-Institut! Und neben Museen und Christkindlmarkt lerne ich auch in der Gruppe von Karel Riha neue Methoden [1], die mich in meiner Arbeit voranbringen sollen.

Ansonsten wirds wohl noch eine weitere Woche nichts von mir geben, solange bin ich nämlich noch hier!


[1] Für die Interessierten.

Dienstag, November 18, 2008

Seeigelsex

Ich möchte euch heute ein wenig über ein kleines Projekt erzählen, das ich in meiner Studienzeit zusammen mit Ele von Selective Sweep durchführte.
Für eine meeresbiologische Exkursion war ne ganze Truppe Karlsruher Studenten zwei Wochen auf der italienischen Mittelmeerinsel Giglio [1]. Neben viel Schnorcheln samt Tiere sammeln und Bestimmen hatten Zweiergruppen auch eigene Themen zu bearbeiten - wir beide hatten Echinodermen, also Stachelhäuter, bekommen. Das hörte sich erst mal nicht sooo spannend an, muss ich zugeben. Und dann mussten wir uns auch noch Versuche zu dem Thema überlegen, die wir mit den begrenzten Mitteln auf Giglio durchführen konnten! Um es kurz zu machen, das Thema stellte sich natürlich als viel interessanter heraus als gedacht, und eines unserer Projekte war besonders spannend: Wir wollten Eizellen von Seeigeln künstlich befruchten und dann die Entwicklung der Larven über mehrere Tage mitverfolgen!

Das war in der Praxis dann gar nicht so einfach. Zunächst mussten natürlich Seeigel gesammelt werden. Also an nem felsigen Stück der Küste raus ins Wasser, und möglichst ohne große Verletzungen mehrere Vertreter einer Art einpacken. Ein Vorteil bei der Fortpflanzung von Seeigeln ist, dass sie im Meerwasser abläuft - Spermien und Eizellen werden in großen Wolken abgegeben, mischen und befruchten sich. Wir mussten unsere Igel aber dazu kriegen, auf Kommando abzulaichen. Das ist tatsächlich leichter als man vielleicht denkt: Durch Spritzen einer Lösung von Kaliumchlorid direkt in den Mundraum (ungefährlich für die Tiere) legen die sofort los. Wir mussten dann nur noch Spermien und Eizellen mischen, warten und in regelmäßigen Abständen Proben nehmen und am Mikroskop betrachten [2].
Das Tolle an der Geschichte: Der Versuch hat tatsächlich geklappt! Wir konnten Eizellen von Seeigeln künstlich befruchten, und konnten auch die Larvenentwicklung durch viele Stadien für mehrere Tage verfolgen. Etwas umständlich war es sogar möglich, durch das Okular des Mikroskops hindurch Bilder mit einer Digitalkamera zu machen. Davon will ich euch natürlich ein paar hier präsentieren [3]:

befruchtete Eizelle

Zweizellstadium, es schwimmen auch noch jede Menge Spermien rum

Vierzellstadium

Sechzehnzellstadium

Blastulastadium

Pluteuslarve

Warum habe ich eigentlich davon erzählt? Weil es ein tolles Video gibt, das genau so ein Projekt zeigt, nur mit eindrucksvolleren Bildern als unseren. Die haben eine besondere Art von Seeigel, den Sanddollar genommen, sonst lief das aber gleich ab, samt Ablaichen nach Spritzen von KCl. Wenn man die filigranen Larven der Seeigel sieht, die da im Wasser schwimmen, kann man fast nicht glauben, dass die erwachsenen Tiere für den Rest ihres Lebens auf dem Meeresboden rumliegen.


A Sea Biscuit's Life from Bruno Vellutini on Vimeo.



[1] Ich kann übrigens jedem Hobbytaucher nur empfehlen, mal dort einen Urlaub zu verbringen!
[2] So ganz einfach ist das auch nicht. Das größte Problem ist ein Verpilzen der Proben, da die Seeigel in Meerwasser ablaichen, und dieses Meerwasser dann natürlich auch nach der Befruchtung mehrere Tage lang unter optimalen Bedingungen für Pilze und Bakterien steht. Das Meerwasser für das Ablaichen musste also steril sein. Woher nehmen? Man(n) presst "einfach" mehrere Liter Meerwasser durch Filter mit feinsten Poren, die nur Wasser und gelöste Bestandteile durchlassen, alles über ein paar hundert Nanometer aber nicht.
[3] Um es nochmal zu betonen, die Bilder stammen nicht nur von mir, sondern auch von Ele. Genau genommen hat er sogar das Protokoll für diesen Versuch geschrieben. Also stattet ihm mal einen Besuch ab und grüßt ihn von mir!

Und als ob ich noch nicht genug Liebe von Google ergaunert hätte, hier noch einmal die Zusammenfassung dieses Posts: Ich zeige Fotos und sogar ein Video über den erzwungenen Sex von Seeigeln, die (und jetzt wirds abartig) durch Injektionen zum Ablaichen gezwungen wurden.

Arroganz als Vortragspersönlichkeit

Aus aktuellem Anlass folgt hier ein kurzer Aufreger über Unsitten beim Kolloquiumsvortrag.

Wenn Leute sich für einen Kolloquiumsvortrag treffen, dann hören sie meistens über ein Thema in dem sie sich nicht gut auskennen. Für den Vortrag unterbrechen sie ihre eigenen Arbeiten, um über die Fortschritte ihrer Kollegen in verwandten Disziplinen auf dem Laufenden zu bleiben. Mit diesem Hintergrund ist es mir total unverständlich, wie viele eingeladenen Gäste ihre Vorträge gestalten.
Wenn ich auf einen Vortrag eingeladen werde, um meine Ergebnisse zu präsentieren, dann sollte ich doch zumindest den Vortrag so anpassen, dass er wirkt, als wäre die Präsentation für den Anlass erstellt worden. Leider stimmt manchmal noch nicht mal der Ort auf der Titelseite. Das gibt den Zuhörern ein unheimlich tolles Gefühl gleich vom Start weg. In eine ähnliche Richtung geht auch ein zweiter Punkt - nicht jeder Vortrag dauert gleich lang, und wenn ich irgendwohin eingeladen werde und vorab gesagt bekomme, ich hätte etwa 45 Minuten Zeit, dann passe ich den Vortrag entsprechend an, oder? So selbstverständlich scheint das aber nicht zu sein. Über die Unart, dann während des Vortrags ein paar Folien zu überspringen kann ich ja noch hinwegsehen, auch wenn das schon unhöflich ist. Aber gestern abend bin ich einer Steigerung dieses Verhaltens begegnet: Wie bringt man in 45 Minuten ca. 70 bis 80 Folien mit Daten unter? Ganz einfach, man zeigt viele der Folien nur für ein paar Sekunden und erwartet von den Zuhörern, die essentiellen Daten selbst zu erkennen. Was soll das? Will uns der Vortragende damit zeigen, dass er ganz viele tolle Daten hat, dass wir nicht auf den Gedanken kommen er würde nichts arbeiten? Geht er davon aus, nur weil er diese Daten selbst schon zigmal gesehen hat können wir dem Allem mit einem Augenzwinkern folgen?
Letztlich bin ich recht verärgert aus dem Vortrag gegangen. Weil ich nicht wirklich viel von dem Vortrag mitgenommen habe, und das wenige bald vergessen werde. Das wenige was ich herauslesen konnte, sah recht interessant aus. Deshalb war ich umso enttäuschter, dass der Vortragende nicht einfach nur ein Drittel der Daten gezeigt hat, auf diese dafür aber ausführlicher einging. Die Stunde Kolloquium war jedenfalls verlorene Zeit für mich, die ich besser hätte nutzen können, beispielsweise indem ich meinen Schreibtisch aufgeräumt hätte.
Aber wieso machen die Leute so etwas? Wieso halten sie sich nicht an die einfachsten, eigentlich selbstverständlichen Regeln für einen Vortrag? Vielleicht auch wegen dem besonders schlimmen Vortrag von gestern abend bin ich mittlerweile der Meinung: manchmal einfach Arroganz. Warum sonst sollte jemand so offen zeigen, dass ihn weder die Umgebung interessiert, in der er seinen Vortrag hält, noch die kostbare Zeit der vielen Leute, für die er ihn hält?

Und dabei sollte jeder Wissenschaftler in dieser Situation doch eigentlich genau das Gegenteil zum Ziel haben: Ich möchte mit dem Vortrag möglichst viele Kollegen mit der Begeisterung anstecken, die ich selbst für mein Forschungsgebiet habe. Ich möchte, dass sie zumindest ein wenig von dem behalten, was ich erzählt habe. Letztlich möchte ich sogar, dass sie das nächste Mal, wenn sie ein Paper aus meinem Gebiet sehen, sich an den Vortrag erinnern und das Paper aus Interesse lesen, weil sie von mir eine theoretische Grundlage dazu bekommen haben. Leider sieht das wohl aber nicht jeder so.

Donnerstag, November 13, 2008

IBMP recap #1: DNA recombination

Mit mehr Verspätung als geplant fange ich also endlich mit der Zusammenfassung der Vorträge vom diesjährigen IBMP-Kolloquium "Integrative Plant Biology" an.

In der ersten Session ging es um DNA-Rekombination, also den Prozess, der Sequenzen zwischen zwei DNA-Molekülen austauscht. Einer der Sprecher war mein Chef, Holger Puchta, und über unsere Arbeiten werde ich demnächst sowieso noch schreiben, also spar ich mir das hier.

Der zweite Vortrag war von Barbara Hohn und befasste sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Genomdynamik, also all die vielen Prozesse, die den Zustand der DNA im Zellkern auf eine globale Weise regulieren. Klassischerweise sieht man den Einfluss der Umwelt auf die Evolution während der Selektion der Nachkommen. Nach den Ergebnissen von Barbara Hohn kann die Natur aber schon während dem Leben der Eltern auf vielfältige Weise die Rekombinationsrate beeinflussen, und dadurch eben auch neue Genkombinationen für die Evolution erzeugen.
Zur Messung der Rekombinationsrate wurden in ihrer Gruppe mehrere Reporterlinien erzeugt, die wir bei uns auch verwenden. Während aber wir mit diesen Reporterlinien die Rekombinationsrate zwischen Wildtyp und verschiedenen knockout-Mutanten vergleichen, um Gene finden zu können, die in die Rekombination involviert sind, will Barbara Hohn äußere Einflussfaktoren der Rekombination bestimmen.

Und davon gibt es jede Menge, die auch recht interessant sind: Ozon blockt UV-Strahlen, die in die Atmosphäre eindringen. Die Dosis UV-Strahlung, die ein Organismus abkriegt, hängt demnach von der Menge an Ozon in der Atmosphäre, und von dessen Höhe ab (mehr UV auf dem Berg als im Tal). Erhöhte UV-B Strahlung resultiert jedoch in einer erhöhten Rekombinationsrate.
Auch ein Pathogenbefall führt zu mehr Rekombination. Hier konnte außerdem gezeigt werden, dass es ein Signal geben muss, das die Rekombinationsrate hochreguliert. Wenn man beispielsweise ein Tabakblatt mit dem Tabakmosaikvirus infiziert, dann breitet dieses sich über Stunden bis Tage in der restlichen Pflanze aus, und man kann die Ausbreitung visuell mitverfolgen. Die Rekombinationsrate ist nicht nur im infizierten Gewebe erhöht, sondern immer auch in benachbarten Geweben, die nicht infiziert sind - es muss also ein Signal geben, das durch die Pflanze transportiert wird (schneller als das Virus), und die restlichen Zellen schon mal "vorwarnt".
Logisch erscheint eigentlich, dass ionisierende Strahlung, die Brüche in der DNA hervorruft, zu einer Erhöhung der Rekombinationsrate führt. Es ist jedoch richtig clever, wie dies mit den Reporterlinien von Barbara Hohn genutzt wird: Sie dienen nämlich in den Gebieten um Tschernobyl als Biomarker für die Strahlung aus der kontaminierten Erde. Die Reporterlinien sind nämlich so sensitiv, dass man sehr gut über die unterschiedlichen Rekombinationsraten an verschiedenen Orten auf die Hintergrundstrahlung vor Ort schließen kann.
Bis zum Schluss habe ich mir die meiner Meinung nach interessanteste Beobachtung von Barbara Hohns Forschung aufgehoben. Pflanzen haben eine "Erinnerung" an Stressfaktoren über mehrere Generationen hinweg! Dies wurde eher durch Zufall entdeckt. Bestrahlt man die Reporterlinien mit UV-B Strahlung, führt dies zu einer Erhöhung der Rekombinationsrate, wie ich oben ja schon beschrieben habe. Man findet jedoch auch eine erhöhte Rekombinationsrate in mehreren Generationen von Nachkommen dieser bestrahlten Pflanzen, die selbst nie bestrahlt wurden! Dieser Effekt ist auch mit anderen Induktoren der Rekombination reproduzierbar. Noch besser - auch wenn nur ein Elternteil mit UV-B bestrahlt wird, und nur ein Elternteil das Reporterkonstrukt trägt, haben die Nachkommen in allen möglichen Kombinationen dieser Zustände erhöhte Rekombinationsraten. Es ist bis jetzt noch nicht klar, was zu diesem Effekt führt. Die wahrscheinlichste Erklärung ist ein epigenetischer Effekt. Es handelt sich also nicht um Mutationen oder ähnliche Veränderungen der DNA-Sequenz, sondern Veränderungen der DNA-Struktur, die Bereiche zugänglicher oder weniger zugänglich für Prozesse wie die Rekombination machen. Ein ähnlicher Effekt konnte auch in Mäusen beschrieben werden, er scheint also auch in Tieren eine Rolle zu spielen.

Damit ist die erste Session abgeschlossen, im nächsten Teil geht es um Signalwege mit einer Rolle in Entwicklung und Pathogenabwehr.


Jean Molinier, Gerhard Ries, Cyril Zipfel, Barbara Hohn (2006). Transgeneration memory of stress in plants Nature, 442 (7106), 1046-1049 DOI: 10.1038/nature05022
R C Barber, P Hickenbotham, T Hatch, D Kelly, N Topchiy, G M Almeida, G D D Jones, G E Johnson, J M Parry, K Rothkamm, Y E Dubrova (2006). Radiation-induced transgenerational alterations in genome stability and DNA damage Oncogene, 25 (56), 7336-7342 DOI: 10.1038/sj.onc.1209723

Mittwoch, November 12, 2008

Von Bodensatz und Hochstaplern

Hier soll es um einen Ausdrucksfehler gehen, der mich in letzter Zeit immer öfter aufregt. Vor allem, weil er auch von einer ganzen Menge Leuten gemacht wird, die es eigentlich besser wissen sollten. Was ich meine? Die allseits verbreitete Unart, in biologischen Texten von "höheren" und "niederen" Organismen/Eukaryoten/Tieren/Pflanzen/etc. zu sprechen (entsprechend im Englischen "higher" und "lower"). Denn auch die ständige Verwendung dieser Begriffe ändert nichts daran, dass es diese zwei Gruppierungen schlicht nicht gibt, und dass sie schlimmer noch ein stark verzerrtes Bild der tatsächliches Verwandtschaft von Organismen zeichnen.

Ein Beispiel, wie ich es auch in Fachartikeln immer wieder lese, geht in etwa so: "Wir haben Gen/Protein X in der Maus untersucht und es hat Funktion Y. Da wir es über Sequenzvergleiche auch im Menschen, aber nicht in der Fruchtfliege Drosophila melanogaster finden, ist diese beschriebene Funktion den höheren Tieren vorbehalten, niedere Tiere müssen ohne Auskommen."
Hier wird willkürlich eine Grenze in den Tieren gezogen, die üblicherweise bei den Wirbeltieren liegt. Gehört der Organismus zur Gruppe der Wirbeltiere, ist es ein "höheres" Tier, wenn nicht, dann ist es ein "niederes" Tier. In diesem Fall ist die Unterscheidung zumindest noch soweit vertretbar, dass es innerhalb der Tiere wirklich ein Taxon "Wirbeltiere" (Vertebrata) gibt - aber wieso grenzen die Autoren dann die zwei Gruppen nicht mit dem etablierten Fachbegriff ab? Denn ein Problem mit der Verwendung von "höheren" und "niederen" Organismen wird schon in diesem einfachen Beispiel sichtbar: Die "höheren" Tiere stehen in einer angenommenen Rangfolge über den "niederen" Tieren. Dies geht auf eine veraltete und lange widerlegte Sicht der Verhältnisse der Organismen zurück, die beispielsweise auch Linné noch teilte: die scala naturae, die eine hierarchische Rangfolge aller Objekte im Universum postuliert. Demnach stehen ganz unten unbelebte Dinge wie Steine, darauf folgen Pflanzen, die ja schon leben. Wichtiger als Pflanzen sind Tiere, da sie sich auch bewegen können. Der Mensch bildet die Krone der Schöpfung, und ganz oben sitzt Gott. Demnach kann man verstehen, warum die Wirbeltiere höher als Invertebraten stehen sollen - der Mensch ist auch ein Wirbeltier. Das Problem daran: Wir wissen aus verschiedenen Quellen, dass alle heute lebenden Organismen auf einen einzigen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass alle dieser heute lebenden Organismen gleich "alt" sind und die Evolution gleich lange auf ihre Vorfahren gewirkt hat. Was ganz sicher nicht stimmt ist, dass die heute lebenden Organismen verschiedene Stufen auf einer Leiter sind, die zum Menschen hinführt. Auch das Argument der unterschiedlichen Komplexität der Organismen zieht nicht, weil alle Organismen prinzipiell bestangepasst für ihren aktuellen Lebensraum sind. Wenn dieser Lebensraum eine einzellige Lebensweise bevorzugt, dann sagt das verständlicherweise nichts über einen möglichen Stand es darin lebenden Organismus in der Rangfolge des Lebens aus.

Die Sichtweise der scala naturae für eine Unterscheidung in "höhere" und "niedere" Tiere ist also nicht haltbar. Warum es mit der inflationären Verwendung dieser Begriffe aber noch ein anderes Problem gibt, möchte ich auch kurz anreißen. Wenn wir den Blick nämlich ein wenig weiter als nur die Tiere schweifen lassen, wird offensichtlich, dass viele Autoren über die Verwandtschaftsverhältnisse der Organismengruppen hier auf der Erde nicht viel Ahnung haben, oder dass sie ihnen zumindest zum Zweck eines einfachen Arguments egal sind. Hin und wieder kommt es nämlich vor, dass in Fachartikeln auch Organismen außerhalb der Tiere in den Vergleich einbezogen werden. Meistens handelt es sich dabei um den klassischen eukaryotischen Modellorganismus, die einzellige Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae. Noch seltener werden auch Pflanzen mit untersucht. Wenn das passiert, dann ist der Grimassenfaktor bei der Diskussion von "höheren" und "niederen" Eukaryoten aber besonders hoch:
Sehr oft findet man im Vergleich von mehrzelligen Tieren und mehrzelligen Pflanzen genetische Gemeinsamkeiten, die in vielen einzelligen Eukaryoten, egal ob Tier, Pilz oder Pflanze, nicht zu finden sind. Darum sprechen diese Leute dann von "höheren" Eukaryoten und meinen Organismen wie den Menschen, die Maus, Reis, Mais und Arabidopsis, und von "niederen" Eukaryoten und meinen dann die einzellige Alge Chlamydomonas rheinhardtii, die Bäckerhefe, eine der Amöben mit durchsequenziertem Genom, etc. Hier tritt nun ein großes Problem auf, das in dem Beispiel oben mit der Unterscheidung von zwei großen Tiergruppen (Vertebraten - Invertebraten) noch nicht vorhanden war. Es werden Verwandtschaftsgruppen zwischen Organismen gebildet, die keineswegs so direkt miteinander verwandt sind.
Beispiel Maus und Arabidopsis. Um den gemeinsamen Vorfahren von der Maus und Arabidopsis zu finden, muss ich von beiden Organismen aus immer die nächstverwandten Arten zu Gruppen zusammenfassen, bis ich schließlich eine Organismenmenge habe, die sowohl Maus, als auch Arabidopsis beinhaltet. Dabei lande ich von der Maus aus (in großen Sprüngen) über Nagetiere, Wirbeltiere, Bilateria, Tiere (Metazoa), Tiere/Pilze bei einem ursprünglichen Eukaryoten, der mit sehr großer Wahrscheinlichkeit einzellig war. Von Arabidopsis aus kommt man ebenfalls zu diesem ursprünglichen Organismus. Auf dem dorthin begegne ich aber jeder Menge "niederer" Eukaryoten! Wie gesagt, Wirbeltiere und Samenpflanzen sind nicht direkt miteinander verwandt...

Ich denke, das wird auch aus dieser Abbildung hier sehr deutlich. Die "höheren" Eukaryoten sollen jeweils ein Teil (!) der beiden rot eingekreisten Taxa sein, der Rest darf sich "niederer" Eukaryot schimpfen.
(aus Keeling PJ et al. 2005, Trends in Ecology & Evolution)
Also, um zusammenzufassen: Die Unterscheidung von "höheren" und "niederen" Organismen macht aus vielen Gründen keinen Sinn, sie ist sogar irreführend. Ich kann verstehen, dass ein Autor gerne seine Ergebnisse übersichtlich vergleichen möchte. Aber wieso werden dann nicht Bezeichnungen verwendet, die nicht so problematisch sind? Dazu muss man sich fragen: Was unterscheidet Samenpflanzen und Wirbeltiere von den meisten anderen Eukaryoten? Sie sind mehrzellige Organismen, während praktisch alle Gruppen in der Abbildung oben ohne roten Kreis Einzeller sind. Dieser Unterschied hat verständlicherweise einen großen Einfluss auf die Lebensweise des Organismus - es wundert also nicht, dass die "höheren" Eukaryoten zu ähnlichen Problemen - der mehrzelligen Lebensweise - ähnliche Lösungen gefunden haben. Um unser Problem zu lösen reicht meiner Meinung nach eben, wenn man jedes "höhere" und "niedere" durch einzellige und mehrzellige ersetzen würde.

Und es ist mittlerweile dringend nötig, nicht mehr von "höheren" und "niederen" Organismen zu sprechen. Wenn Studenten Vorträge halten oder Texte verfassen, verwenden sie diese Begriffe natürlich gern, weil sie so griffig sind. Als Betreuer darf man dann immer darauf hinweisen, dass diese Begriffe nicht korrekt sind. Was in großen, ungläubigen Augen seitens der Studenten resultiert, schließlich stand das ja so in zig Papern, die sie gelesen haben...Letzten Endes erziehen wir uns durch die falsche Verwendung dieser beiden Worte also eine Generation von Wissenschaftlern, die sie schon aus dem Studium kennen und darum noch unkritischer verwenden werden. Dem tatsächlichen Verständnis beispielsweise von Proteinfunktionen zwischen verschiedenen Organismen tut das aber sicher keinen Gefallen!

Samstag, November 08, 2008

Wenn die da oben sagen es macht nix, dann muss es ja schlecht sein

Weils so schön ist gleich noch was Witziges zum Ansehen. Gefunden bei boingboing gadgets. Ich kann mir richtig den reverse psychology Effekt von diesen Schildern vorstellen ;-)

Vor der Angst vor "Handystrahlen" kam also die Angst vor diesem neumodischen Kram namens Elektrizität. Können die nicht wie die Generationen vor ihnen einfach ne Kerze anmachen? Romantischer ists eh! Diese negative Einstellung dem Fortschritt gegenüber ist also wohl älter als man denkt. Ich stelle mir jetzt gerade vor, der fortschrittliche gegen den fortschrittsfeindlichen Ritter: "Mein Vater hat auch mit ner Lederrüstung in den Krieg ziehen können, wieso sollte ich jetzt anfangen mit diesem komischen Kettenhemd?"

Irgendwie ist dieser Post jetzt viel negativer rausgekommen als beabsichtigt. Liegt möglicherweise auch an den Schmierereien, die neuerdings um die Uni rum zunehmen. Naja, einfach ignorieren und lachen!

Laborjournal-E

Die Titelseite des aktuellen Laborjournal kam mir irgendwoher bekannt vor...hmmm...Zufall oder Absicht? Was meint ihr? Einen Zusammenhang mit dem Titelthema kann ich jedenfalls nicht erkennen. Trotzdem genial!

Montag, November 03, 2008

Cute und Ugly

Die meisten werden Cute Overload wohl kennen. Und um die tägliche Dosis Toyger, E.T.-Katze an Halloween, Hundewelpen oder Tiere im Ausschnitt (ja, dazu gibt es ne ganze Kategorie) zu bekommen, gibt es wohl keine bessere Seite. Interessante Informationen über die gezeigten Tiere sind neben den Würgereflex trainierenden übersüßen Kommentaren aber meistens nicht zu finden.

In die Bresche springt das noch recht neue Blog ZooBorns. Hier liegt der Schwerpunkt wie der Name schon verrät auf süßen, neugeborenen Tieren aus den Zoos dieser Welt. Anders als bei Cute Overload erhält man über die gezeigten Arten aber auch immer was spannendes zu lesen. Bestes Beispiel ist ein Artikel über einen neugeborenen Stummelaffen im Denver Zoo. So wird beispielsweise klar, woher die Stummelaffen eigentlich ihren Namen haben - ihr Daumen ist im Vergleich mit anderen Affen verkürzt.
Im Gegensatz zu den erwachsenen Tieren haben junge Stummelaffen ein weißes Fell, das später nur um das Gesicht, an einem seitlichen Streifen und am Schwanz hell bleibt.

Aber auch von der Pflanzenseite gibt es tolle Bilder, Botany Photo of the Day sei Dank! Diese vom Centre for Plant Research des UBC Botanical Garden in Vancouver, Kanada betriebene Seite liefert genau das, nämlich jeden Tag ein neues botanisches Bild.
Als Vorbereitung zu Halloween gab es vor ein paar Tagen diese Orchidee zu bewundern, Dracula simia. Den Text dazu möchte ich euch nicht vorenthalten:
"I want to suck your blood!" Although Ecuador and Transylvania are on separate continents, this gorgeously creepy orchid was named Dracula simia by the botanist Luer in 1978. Although this small orchid is not at all parasitic, one can see its resemblance to the "popped collar" cape of the popular representation of Dracula. Also, the spurs on the ends of the three petals somewhat resemble the fictional Dracula's fangs. The name Dracula literally translates to "little dragon", whereas the specific epithet simia translates to "monkey". The genus Dracula contains 120+ known species. Dracula simia is from the cloud forests of southeast Ecuador, where it grows at elevations between 1000-2000 meters (3250-6500 feet). In general, species of Dracula enjoy cooler temperatures -- do not let their environments exceed 27 degrees C (80 degrees F). They also enjoy a humid environment (80-90%) with a slight breeze.
Bis zum Schluss dieses Posts habe ich mein liebstes Blog mit biologischen Bildern aufgehoben, Ugly Overload. Ursprünglich als Gegengewicht zu Cute Overload gestartet, hat diese Seite einen viel höheren Stellenwert in meinem Feedreader eingenommen. Viele Posts zeichnen sich durch den Humor des Betreibers aus, wie etwa hier über Schnecken und Insekten:
I've looked into the eyes of an elephant and sworn I saw an intelligent mind looking back at me. I've looked into the eyes of a puma that was being walked past me within a couple of feet and sworn I saw unmitigated malevolence. But I've had zero reaction when looking a slug in the eyes.

I believe you are now looking a black slug (Arion ater) in the face. Also known as the black menace, this slug is an unwelcome addition to any lawn or garden. Their nasty-tasting slime is a deterrent to most would-be hunters, but some animals still hunt them (can you really hunt a slug? at least, with any pride in calling it hunting?). Just keep some hedgehogs or badgers in your garden, and voila, no slugs. But then you're stuck with pesky hedgehogs and badgers.

Last we have a gray bug from Pennsylvania. I think it's some variant of a squash bug. But there are roughly 1,800 species in the Coreidae family, so I can't get more specific. Suffice it to say that this bug probably just dined on *gasp* a squash or other food plant of some sort. Again, no emotional reaction from looking it in the eye. Maybe that's just my 'higher order animal' bias. I'm such a bigot.
Jede Menge andere Posts sind aber sehr informativ, ohne diesen Witz aufzugeben. Ein sehr gutes Beispiel ist der Beitrag über die Vampirmotte von heute, den ich komplett zitieren möchte weil er so gut ist:
What better way to bring in November (and mark the day after Halloween) than with the vampire moth? I know, at first mention the vampire moth may not instill any dread in you. But, please, read on.

The vampire moth was recently discovered in Russia, in two separate populations. This moth has forsaken the traditional fruit in favor of the forbidden fruit: human blood. What's amazing about this moth is it is virtually indistinguishable from its fruit-eating cousins of the same species (Calyptra thalictri).

See that moth perched on that finger? See its tongue, how it has a nice red tint to it? That's because this researcher offered up his finger, and the moth obliged him by drilling into his finger with its hook-and-barb-lined tongue and tapping it for blood.

The vampire is virtually indistinguishable from the fruit-eating variety. Only minor variations in the wing pattern would give you any warning that the moth fluttering about the lamp post is sniffing you out for blood.

Some researchers see this adaptation as a means of getting greater insight into how insects move from eating nectar to eating blood. Here's one possible progression: lapping at nectar to behaviors that result in drilling into fruit to eating tears and dung and pus-filled wounds to using that same drilling technique to dine on blood.

Not the most wholesome progression, but progress none the less. I can imagine grandpa moth saying, "Ah, back in my day we didn't eat puss and blood like the rascals these days. We ate fruit! That's the way it was, and that's the way we liked it!"

On the positive side, though you may not be able to distinguish the vampire from its benign form, you can protect yourself. They can't enter your home without your permission, they're allergic to sunlight and garlic, and they can't cross running water. It's unknown if they have any other forms (gaseous, wolf, bat, etc.), though the moth below does have a bat-like quality to it.
Oh, und für die ganz hartgesottenen gibt es natürlich noch Catalogue of Organisms. Der Untertitel "An inordinate fondness for systematics" fasst es eigentlich sehr gut zusammen. Das soll nicht heißen, dass CoO schlecht wäre, dort geht es nur im Vergleich mit den anderen hier vorgestellten Blogs sehr detailreich zu. Ich ziehe den Hut vor dem Autor Christopher Taylor, der als Doktorand mit einer Spezialisierung auf die Systematik von Weberknechten solch umfassende Posts über praktisch jede Tier- und Pflanzengruppe schreiben kann, egal ob heute lebend oder ausgestorben. Bestes Beispiel: seine aktuelle Reihe über prähistorische Kopffüßer.

Viel Spaß beim Lesen und Bilder betrachten!

Samstag, November 01, 2008

Wissenschaftliche Berater des zukünftigen US-Präsidenten

Beim IBMP-Meeting in Strasbourg kam ein interessanter Punkt auf, der mit dieser bereits recht berühmten Nature Ausgabe zu tun hat:
[via Not Exactly Rocket Science]

In dem NewsFeature Artikel "US election: The home stretch" von Alexandra Witze in dieser Ausgabe von Nature (der wahrscheinlich wie fast alles von Nature nicht frei zugänglich ist) geht es unter anderem auch um die wissenschaftlichen Berater der beiden Präsidentschaftskandidaten. Und ohne Namen zu nennen kriegt man von dieser Liste einen recht guten Eindruck, wie Obama und McCain zu Wissenschaft stehen beziehungsweise was sie sich unter Wissenschaft vorstellen.

Kurz zusammengefasst sieht das Ganze nämlich so aus:


Wissenschaftsberater von Obama
  • ein Nobelpreisträger, Leiter des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York und früherer Leiter der National Institutes of Health
  • ein Astrophysiker
  • der Präsident der Federation of American Scientists (früherer Assistant Director of Technology von Präsident Bill Clinton)
  • ein Professor für Medizin und Humangenetik
  • eine Biologin von Stanford
  • locker angebunden sind 3 weitere Nobelpreisträger vom MIT, dem Johns Hopkins Malaria Research Institute und dem Stanford Linear Accelerator Center
Wissenschaftsberater von McCain
  • ein Mitglied des Senatskommitees für "Commerce, Science and Transportation"
  • ein früherer CEO von HP
  • ein früherer CEO von eBay
  • der CIA-Direktor unter Clinton
  • Reagans Berater für nationale Sicherheit
  • der Verteidigungsminister und Nixon und Ford und Energieminister unter Carter
  • der Berater von Karl Rove und Dick Cheney
Fällt jemandem was auf? In ein paar Tagen werden wir wissen, ob der Wind der Wissenschaftlern entgegenweht eher angenehm oder eisig sein wird.