Freitag, Mai 09, 2008

Grenzen des Sichtbaren und wie man sie überwindet

Die Zellbiologen haben ein Problem: Einerseits möchten sie immer mehr und feinere Details in den Zellen sehen, was nur mit einer guten Auflösung möglich ist. Andererseits wollen sie aber ihre Zellen in einem möglichst natürlichen Zustand lassen, um keine falschen Beobachtungen zu machen (die nennt man Artefakte, und sie können viele Ursachen haben). Am besten wäre natürlich, lebende Zellen zu beobachten. Doch leider schließen sich diese beiden Wünsche aus.

Das Auflösungsvermögen eines Mikroskops muss von dessen Vergrößerung unterschieden werden. Die Vergrößerung sagt nur etwas darüber aus, um wieviel größer das Objekt dargestellt wird, und hängt ab von den Vergrößerungen des Objektivs und des Okulars (logisch, oder?). Die Auflösung gibt an, welchen Abstand zwei Lichtpunkte voneinander haben müssen, um getrennt wahrgenommen zu werden. Sind also zwei (oder mehr) Lichtpunkte kürzer voneinander entfernt als das Auflösungsvermögen der Mikroskopteile hergibt, dann sieht man nur einen Punkt! Es ist also möglich, eine sehr gute Vergrößerung zu erzielen, und dabei aber ein schlechtes Auflösungsvermögen zu haben. Die Auflösung eines Mikroskops ist letzten Endes, wenn alles andere optimal arbeitet, begrenzt durch die Wellenlänge des Lichtes, das man zur Betrachtung seiner Objekte benutzt. Dies wurde schon 1873 von Ernst Abbe beschrieben.

Auf diese Weise lassen sich heute in Lichtmikroskopen Auflösungen von etwa 200 nm erreichen. Eine bessere Auflösung (bis zu 0,1 nm) erzielen Elektronenmikroskope, eben wegen der kleineren Wellenlänge der eingesetzten Elektronen im Gegensatz zu sichtbarem Licht.

Doch wie gesagt, die Auflösung feinster Details in der Zelle ist nur ein Ziel. Und das Beobachten von Zellen in einem möglichst unveränderten Zustand ohne Artefakte ist mit dem EM nicht ohne weiteres möglich - Aufnahmen von lebenden Zellen aufgrund der Vorbehandlung der Proben sogar gänzlich unmöglich.
Man hat nun also die Qual der Wahl: Entweder gute Auflösung im EM, oder schlechte Auflösung im optischen Mikroskop, dafür dann aber auch lebende Zellen.

Doch neuerdings geht auch beides: Das von Prof. Dr. Stefan Hell, zur Zeit Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen, entwickelte STED-Mikroskop erzielt mit sichtbarem Licht Auflösungen von 20-70 nm, erlaubt dabei aber die Beobachtung von lebenden Zellen. Es ist sogar möglich, kurze Videos von dynamischen Prozessen in der Zelle aufzunehmen. Für die Entwicklung des STED-Mikroskops (=stimulated emission depletion) erhielt Stefan Hell bereits mehrere Preise, darunter auch 2006 den Deutschen Zukunftspreis.
Doch wie soll das überhaupt möglich sein? Seit fast 150 Jahren steht doch fest, dass die Auflösung von der Wellenlänge abhängig ist! Das ist bei dem STED-Mikroskop auch der Fall, Stefan Hell hat sich aber einen Trick einfallen lassen: Das Anregungslicht funktioniert wie bei den anderen Fluoreszenzmikroskopen auch, es führt zur Fluoreszenz in einem kreisförmigen Areal. Doch darauf wird nun ein zweites Licht unterschiedlicher Wellenlänge in Ringform geschickt. Dieses zweite Licht verhindert die Fluoreszenzanregung durch das erste. Folge ist, dass die Anregung nur in der Mitte des Kreises möglich ist - und dieser Bereich kann nun kleiner als die Wellenlänge des Anregungslichts sein!

Jetzt lassen wir aber die Physik hinter uns (falls mir dabei Schnitzer unterlaufen sind, verbessert mich bitte in den Kommentaren!), ich möchte nämlich auf eine aktuelle Anwendung der STED-Mikroskopie eingehen, die zu bisher nicht möglichen Beobachtungen führte.


In einer der letzten Ausgaben von Science haben Gruppen von Stefan Hells NanoBiophotonics-Abteilung und der Neurobiologie-Abteilung vom MPI für biophysikalische Chemie Ergebnisse eines gemeinsamen Projekts veröffentlicht, in dem erstmals dynamische Vorgänge in Nervenzellen mit dem STED-Mikroskop beschrieben wurden. Wer sich noch an seine Schulbiologie erinnert, der weiß dass die Signalübermittlung von einer Nervenzelle zur anderen an Synapsen geschieht. Das Ende einer Nervenzelle bildet dazu ein sogenanntes Synapsenendknöpfchen aus, das einen Durchmesser von ca. 1 µm hat. Darin befinden sich kleine hohle Fettkügelchen, die Vesikel, mit einem Durchmesser von nur um die 40 nm, die in ihrem Inneren Signalmoleküle zur Synapse hin transportieren. Aufgrund ihrer geringen Größe können diese Vesikel nur schwer mit einem Lichtmikroskop beobachtet werden (dessen Auflösung beträgt schließlich im optimalen Fall ca. 200 nm!). Es gibt darum hauptsächlich Daten durch indirekte Methoden oder Elektronenmikroskope.
Mit dem STED-Mikroskop konnten die Kollegen nun einzelne Vesikel aufnehmen, und sie waren sogar in der Lage, 28 Bilder pro Sekunden zu schießen. Das ist eine Rate vergleichbar mit dem Fernsehen, es gibt also Videos von der Dynamik von Vesikeln im Synapsenendknöpfchen! Und während man mit einem konfokalen Mikroskop ohne STED-Technologie nur größere Ansammlungen von Vesikeln erkennen kann, sieht man im vergleichbaren STED-Bild viele sich bewegende Vesikel.

Dass die STED-Mikroskopie immer noch nicht im Forschungsalltag angekommen ist zeigt sich auch an der umfangreichen Besprechung der Methoden, die getestet wurden. Aber die Kollegen haben, nachdem ihr System dann endlich lief, auch verschiedene Hypothesen getestet, die die Bewegung der Vesikel in der Nervenzelle betreffen. Es wird nämlich unter anderem noch diskutiert, ob sich die Vesikel eher durch Diffusion, oder gerichtet z. B. entlang von Elementen des Cytoskeletts bewegen. Oder ob es vielleicht eine Mischung daraus ist. Und wie sich herausstellt, handelt es sich um letztere Möglichkeit: Indem sie Richtung und Geschwindigkeit einzelner Vesikel maßen, fanden die Kollegen drei Gruppen. Vor allem in den Synapsenendknöpfchen liegen viele Vesikel einfach nur faul herum, ohne sich zu bewegen. In den Axonen gab es dagegen jede Menge Vesikel, die sich schnell und gerichtet bewegten. Als dritte Gruppe fanden sie Vesikel, die sich langsam und ungerichtet bewegten - durch Diffusion eben. Dass es sich tatsächlich um Diffusion, und nicht um einen langsameren Transport entlang des Cytoskeletts handelt, zeigten sie durch dessen Störung: Ohne ein funktionierendes Cytoskelett ging die Durchschnittsgeschwindigkeit der Vesikel nach unten, weil der aktive Transport ausfiel. Trotzdem blieb der langsamere, ungerichtete Transport erhalten, der dann wohl wirklich durch Diffusion zustande kommt.

Letztendlich bin ich ja mal gespannt, welche neuen Daten in nächster Zeit durch die STED-Mikroskopie gewonnen werden. Das Mikroskop beendet so langsam sein Prototypendasein, und sollte dann immer mehr Forscher locken. Wenn sich dann noch die nötigen Arbeitsabläufe vereinfachen, dann steht seiner Nutzung für sehr viele unterschiedliche Fragestellungen eigentlich nichts mehr im Weg.



Westphal, V., Rizzoli, S. O., Lauterbach, M. A., Kamin, D., Jahn, R. and Hell, S. W. (2008): "Video-rate far-field optical nanoscopy dissects synaptic vesicle movement." Science 320(5873): 246-9. PMID: 18292304
(leider mal wieder nicht frei zugänglich)

Keine Kommentare: