Samstag, September 27, 2008

Zufälle in der Wissenschaft, noch ein Beispiel

ResearchBlogging.orgIch lese unheimlich gern alte wissenschaftliche Texte. Wenn ich dann noch als Ausrede habe, dass ich dieses eine Paper als Grundlage eines Teils meiner Arbeit sowieso lesen muss, umso besser! So bin ich auf einen Nature-Artikel von 1965 gestoßen, der mal wieder beweist wie einfachste Grundlagenforschung durch einen Zufall zu wichtigen (angewandten) Ergebnissen führen kann.

Die Biopohysiker Barnett Rosenberg, Loretta van Camp und Thomas Krigas von der Michigan State University beschrieben in einem kurzen Artikel [1] von einem merkwürdigen Versuchsaufbau und dem überraschenden Ergebnis, das sie dabei fanden. Ich will den Versuch mal kurz zusammenfassen: Um die Effekte von einem elektrischen Feld auf das Wachstum von Bakterien zu untersuchen, tauchten die Forscher Platinelektroden in eine Kulturkammer mit einer Flüssigkultur des Modellbakteriums Escherichia coli. Gleichzeitig wurde Luft eingeblubbert. Die Forscher legten sich auf bestimmte Bedingungen fest, weil sie für sich alleine das Bakterienwachstum nicht beeinflussen sollten - glaubten sie jedenfalls! Sie schreiben nämlich
Platinum was chosen for the electrode material because of its well-known chemical inertness, and 1,000 c/s was chosen to eliminate electrolysis effects and electrode polarization. As we will show, both are mistaken ideas which led, via serendipity, to the effecs described in this communication.
Nochmal auf Deutsch - genau die Versuchsbedingungen, die eigentlich keinen Effekt ergeben sollten, führten zufällig zu sehr interessanten Effekten! Nach so einer Behandlung hörten die Bakterien nämlich auf sich zu teilen und wuchsen zu langen Filamenten aus. Das ist ein Phänotyp, der schon damals bekannt war. Es deutet darauf hin, dass nur die Zellteilung beeinträchtigt ist, das Zellwachstum aber nicht. Wenn jetzt die Zellen immer länger werden, sich aber nach bestimmten Zeiten nicht mehr teilen werden sie irgendwann zu Fäden. Dieses Verhalten ist auch kein direkter Effekt der Elektrolyse, weil die Zellen erst 1-2 Stunden danach anfingen Filamente zu bilden.
Jetzt gings daran, den Grund zu finden, und alle anderen Möglichkeiten auszuschließen. Dabei waren die Autoren sehr gründlich, und ich will mal ein paar dieser Versuche aufzählen. Das ist nämlich der oft nicht so beliebte, dafür aber sehr wichtige Teil der Wissenschaft, nachdem man eine interessante Beobachtung gemacht hat - die Kontrollen.
  • Der Sauerstoff aus der eingeleiteten Luft ist notwendig. Wurde nur Stickstoff eingeblasen fiel der Effekt aus.
  • UV-Licht, Temperatur, pH-Wert und Magnesiumkonzentration konnten ebenfalls ausgeschlossen werden.
  • Möglicherweise lag es also nicht an der Elektrolyse selbst, sondern an Chemikalien, die durch die Elektrolyse im Kulturmedium gebildet werden. Dafür wurden einfach die Bakterien von der Elektrolyse getrennt! In einer Kammer wurde eine Elektrolyse des Kulturmediums durchgeführt. Anschließend wurde dieses Medium in eine zweite Kammer mit den Bakterien geleitet. Siehe da, filamentöses Wachstum.
  • Mit einem klassischen chemischen Test (Kaliumiodid-Stärke-Test) konnten die Autoren zeigen, dass sich im elektrolysierten Medium ein Oxidationsmittel bildet, dessen Konzentration proportional zur angelegten Spannung ist.
  • Ausgehend von der bekannten Zusammensetzung des Kulturmediums waren eine Reihe von Oxidationsmitteln denkbar. Davon sind viele durch Standardtests nachweisbar. Keine davon waren im elektrolysierten Medium zu finden. Andere Oxidationsmittel wurden einfach zu Bakterien in normalem Kulturmedium gegeben. Ebenfalls kein Effekt. So langsam wirds knifflig.
  • Aber die Autoren hatten wieder eine tolle Idee: Sie elektrolysierten jede Komponente des Kulturmediums für sich, und suchten im Produkt nach Oxidationsmitteln. Die einzigen Lösungen, die sich in dem Test genauso wie elektrolysiertes Medium verhielten waren die mit Chloriden.
  • Da Chloride unter bestimmten Bedinungen Platin angreifen können, gab es nun eine Arbeitshypothese: Ein lösliches Platinsalz wird durch die Chloride im Kulturmedium an den Platinelektroden während der Elektrolyse gebildet. Um das zu testen wurde eine Lösung von (NH4)2PtCl6 dem Test auf Oxidationsmittel unterzogen, sie zeigte das gleiche Verhalten wie das elektrolysierte Medium. Gaben sie die Lösung zu Bakterien in Flüssigmedium, dann zeigten die wieder das filamentöse Wachstum.

Zwar konnten die Autoren letzten Endes nicht herausfinden, welche Platinverbindung(en) während der Elektrolyse des Kulturmediums tatsächlich gebildet wird, aber mehrere von ihnen untersuchten Platinverbindungen (und auch weitere Elemente der Gruppe VIIIb) resultierten entweder in filamentösem Wachstum oder sogar dem Tod der Bakterien.


Wieso ist das jetzt so toll für uns heute, insbesondere für mehr als die Grundlagenforschung? Bakterien haben Probleme mit Platinverbindungen, na und? Ganz einfach, dieses Paper mit der ersten Beschreibung dieses Effekts bildet die Grundlage für eine ganze Familie von Stoffen, die in der Krebsmedizin als Chemotherapeutika eingesetzt werden! Die bekannteste Verbindung ist das Cisplatin (cis-Diaminedichloroplatinum), das genau wie die verwandten Stoffe Quervernetzungen in der DNA und dadurch Doppelstrangbrüche erzeugt, und dadurch Zellen abtötet. Über den genauen molekularen Mechanismus der Reparatur von diesen Quervernetzungen erschien übrigens letzte Woche ein Paper, über das caesar auf dem cBlog berichtet hat.


[1]Damals waren die Nature-Paper wohl noch viel kürzer als heute, der Text ist nur 1 1/2 Seiten lang!

BARNETT ROSENBERG, LORETTA VAN CAMP, THOMAS KRIGAS (1965). Inhibition of Cell Division in Escherichia coli by Electrolysis Products from a Platinum Electrode Nature, 205 (4972), 698-699 DOI: 10.1038/205698a0

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