Sonntag, Oktober 12, 2008

Was uns Forschung an Pflanzen über Parasiten sagt

ResearchBlogging.orgIch bin vor ein paar Tagen über ein Paper gestolpert, eher durch Zufall. Es ist auch schon ein paar Monate alt. Als ich dann aber so da lag und mein Knie rieb (OK, der war flach...), kam mir der Inhalt des Artikels immer interessanter vor. Denn es verbindet tatsächlich auf seinen wenigen Seiten so grundverschiedene Themen wie Pflanzenphysiologie, Parasitologie, Evolution und (Tropen)medizin [1]. Ich denke ich werde den Hintergrund auch mal in der Reihenfolge angehen.

Was hat das mit Pflanzenphysiologie zu tun?
Phytohormone sind sind pflanzliche Botenstoffe, die Wachstum und Entwicklung des Organismus regulieren. Sie wirken also ähnlich wie tierische Hormone, Endokrinologen kriegen bei der Bezeichnung trotzdem ne Gänsehaut vor Ekel. Die klassischen Phytohormone sind, mit sehr unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Wirkungen, Auxine, Cytokinine, Gibberelline, Ethylen und die Abscisinsäure [2]. Wichtig für das Paper ist die letztgenannte Abscisinsäure (ABA, vom englischen abscisic acid).
Ihrer Biosynthese nach ist die ABA ein Sesquiterpen (woher dieser komische Name kommt ist noch wichtig, wird gleich erklärt, versprochen!). Eine ihrer wichtigsten Eigenschaften versteckt sich schon in ihrem Namen, sie ist nämlich für die Abszission (also den Abwurf) der Blätter und Früchte verantwortlich. ABA ist ein inhibitorische Phytohormon, das die wachstumsfördernden Signale anderer Phytohormone unterdrückt. So werden neben Laubfall auch Prozesse wie Alterung, Blütenbildung, Samenruhe und viele weitere streng reguliert.

Und jetzt Parasiten?
Der Stamm der Apicomplexa umfasst viele einzellige Eukaryoten, die alle (!) als tierische Parasiten leben. Bekannte Vertreter dieses Stammes sind Plasmodium-Arten, die Malaria hervorrufen, Toxoplasma gondii (Toxoplasmose), Babesia sp. (Babesiose) oder Cryptosporidium sp. (Kryptosporidiose). Üblicherweise haben Apicomplexa einen komplexen Lebenszyklus, der sowohl sexuelle als auch asexuelle Reproduktion in verschiedenen Wirten umfasst. Zudem findet normalerweise zumindest ein Stadium der Entwicklung innerhalb der Zellen des Wirtes statt (etwa in roten Blutkörperchen bei den Malaria-Erregern Plasmodium).
Alleine mit Malaria werden jährlich weltweit etwa 300 - 500 Millionen Menschen neu infiziert, 1,5 - 2,7 Millionen Menschen sterben an der Infektion.

OK, jetzt zur Evolution!
Das hat mit der Endosymbiontentheorie von Lynn Margulis zu tun. Es geht dabei um die Frage, wie aus den Zellkern-losen Bakterien (Prokaryoten) die Organismen mit Zellkern (Eukaryoten, also Pflanzen, Pilze und Tiere) entstanden. Die Endosymbiontentheorie besagt, dass ein Bakterium oder ein früher Eukaryot ein anderes Bakterium (wahrscheinlich ein α-Proteobakterium) in seine Zelle aufnahm. Doch anstatt es wie üblich zu verdauen gingen beide eine Symbiose ein. Aus diesem Endosymbionten wurde schließlich das Organell der Eukaryoten, das oft auch als das "Kraftwerk der Zelle" bezeichnet wird, das Mitochondrion. Bei der Entwicklung der Pflanzen kam es zu einer weiteren Endosymbiose. Ein früher Eukaryot, der bereits Mitochondrien besaß, nahm ein anderes Bakterium in die Zelle auf, ein zur Photosynthese fähiges Cyanobakterium. Daraus entstanden die Plastiden, also Zellorganelle der Pflanzen, die sich beispielsweise zu Chloroplasten entwickeln und den Pflanzen ihre photosynthetischen Eigenschaften geben.


Diese Überlegungen sind mittlerweile auf zahlreichen Ebenen gut abgesichert. So besitzen sowohl Mitochondrien, als auch Plastiden in den Zellen eigene kleine Genome. Die Gene passen aber nicht zu eukaryotischen, sondern zu prokaryotischen Genen! Außerdem ist das komplette System um die DNA herum (Replikation, Transkription und Translation) nach bakteriellem Vorbild aufgebaut.

Zurück zu unseren Parasiten
Was ich eben beschrieben habe, nennt man primäre Endosymbiose, also die Aufnahme eines Bakteriums in die Zelle, aus der sich ein symbiotisches Zellorganell entwickelt. Verschiedene Arten sind aber noch einen Schritt weitergegangen, darunter auch die Apicomplexa: Bei einer sekundären Endosymbiose wird ein Eukaryot in die Zelle aufgenommen, der bereits einen primären Endosymbionten enthält! Der Name der Apicomplexa kommt von einem solchen sekundären Endosymbionten, denn sie besitzen an der Spitze (api-) der Zelle ein Organell namens Apicoplast, das auf eine einzellige Alge zurückzuführen ist. Das bedeutet letztlich, dass diese Tiergruppe eine einzellige Pflanze in ihre Zellen aufgenommen hat! Sehr deutlich wird das, wenn man sich das Genom des Apicoplasten ansieht - es enthält pflanzliche photosynthetische Gene [3].
Ebenfalls enthalten im Genom des Apicoplasten ist ein kompletter Syntheseweg, den man nur in Pflanzen findet: Der alternative Weg zur Synthese von Isoprenioden (alternativ auch als Terpenoide bezeichnet), oder DOXP/MEP-Weg [4]. Über diesen Weg werden jede Menge wichtige Stoffe hergestellt, beispielsweise Carotinoide , Steroide, Gibberelline, und eben auch die Abscisinsäure. Da Apicomplexa die einzigen Tiere sind, die diesen eigentlich pflanzenspezifischen Weg besitzen, wurde er schnell als ein gutes Ziel zur Bekämpfung dieser Parasiten erkannt. Malaria wird bespielsweise mit Fosmidomycin bekämpft, das ein zentrales Enzym des DOXP/MEP-Weges hemmt.

Jetzt endlich zum Paper
Nachdem nun also alle nötigen Vorkenntnisse da sind will ich wenigstens kurz was zu dem Paper selbst sagen ;-). Kisaburo Nagamune und Kollegen untersuchten aufgrund dieses Wissens den Parasiten Toxoplasma gondii auf mögliche molekulare Mechanismen in Verbindung mit ABA.
Calcium ist ein wichtiges zelluläres Signal in Tieren und Pflanzen, über das verschiedenste Signalwege reguliert werden. Im Artikel konnte gezeigt werden, dass T. gondii in seinem Apicoplasten ABA produziert, und dass deren Menge die Calcium-Konzentration in der Zelle reguliert. Die außerliche Gabe von ABA führte ebenfalls zu einer konzentrationsabhängigen Zunahme der Calciumkonzentration, und hatte außerdem die üblichen Folgen von Calciumsignalen in dem Parasiten, unter anderem das Verlassen der Wirtszelle (wie gesagt, Apicomplexa leben in einem ihrer Stadien innerhalb der Zellen des Wirtes).
Ein gut bekanntes Herbizid ist Fluridon, das über die Hemmung der ABA-Synthese zum Absterben von Pflanzen führt. Dies haben die Autoren auch auf T. gondii getestet, und konnten ein entsprechendes Verhalten des Parasiten zeigen: Weniger Calcium, darum auch keine der davon abhängigen Signale, und letztendlich auch kein Verlassen der befallenen Zelle durch den Parasiten. Dies hat eine sehr wichtige Folge, da sich der Parasit dadurch nicht mehr im Wirtsorganismus selbst ausbreiten kann, und auch keine Nachkommen etwa über den Kot des Wirts in die nächste Runde des Fortpflanzungsmechanismus schicken kann! Dies zeigte sich gut im Tierversuch: Bereits nach 13 Tagen waren ca. 80% der mit T. gondii infizierten Mäuse gestorben, während fast alle der zusätzlich mit Fluridon behandelten Mäuse überlebten. Da Fluridon wie gesagt ein bereits als Herbizid eingesetzter Stoff ist, sind Daten zur Gefährlichkeit gegenüber Tieren vorhanden. Da der gesamte Stoffwechselweg in Tieren (außer Apicomplexa natürlich) nicht vorhanden ist, ist auch Fluridon nur wenig toxisch in Säugern. Dies zeigt also zu einem sehr vielversprechenden Kandidaten, mit dem sich Infektionen von Toxoplasma, aber sehr wahrscheinlich auch anderen Apicomplexa wie Plasmodium, bekämpfen ließen. Bedenkt man das enorme Ausmaß an jährlichen Neuinfektionen und Todesfällen, die auf die Apicomplexa zurückzuführen sind, stellt diese Entdeckung einen neuen Hoffnungsschimmer dar.

Toxoplasma tötet nicht direkt, aber!
Abschließend will ich noch auf interessante Beobachtungen im Zusammenhang mit Toxoplasma eingehen. Über die Malariaerreger Plasmodium sp. ist bereits viel bekannt. Das ist für T. gondii nicht der Fall, weil infizierte Menschen oft symptomlos sind, oder nur leichte grippeähnliche Symptome zeigen. Eigentlich sind Katzen der Endwirt von Toxoplasma. Nur in ihren Körpern kann er sich sexuell fortpflanzen und somit den komplexen Reproduktionskreislauf schließen. Als Zwischenwirt dienen Nager, Katzen infizieren sich mit Toxoplasma, indem sie infizierte Nager erlegen. Anders als Plasmodium lebt T. gondii aber nicht in roten Blutkörperchen, sondern im Zwischenwirt (und im Fehlwirt Mensch) in Muskeln und Gehirn. Und gerade im Gehirn beeinflusst der Parasit seine Chancen, vom Endwirt Katze aufgenommen zu werden. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Nager normalerweise eine Angstreaktion zeigen, wenn sie Katzenurin riechen, und flüchten. Diese Reaktion wird von Toxoplasma unterdrückt, so dass die Wahrscheinlichkeit eines infizierten Nagers viel größer wird, von einer Katze gefressen zu werden.
Diese Beobachtung ist die Basis für die Vermutung von Forschern wie Kevin Lafferty in einem Artikel von 2006, dass Toxoplasma auch das Verhalten von infizierten Menschen beeinflussen könnte. Und es sind gar nicht so wenige Menschen mit dem Parasiten infiziert als man vielleicht denkt: In Deutschland besitzen etwa 60% der Bevölkerung Antikörper gegen Toxoplasma, waren also in ihrem Leben schon mindestens einmal damit infiziert. Die akute Infektionsrate ist zwischen den Ländern unterschiedlich. In Großbritannien sind ca. 7% der Bevölkerung akut infiziert, während es in dem wärmeren und feuchteren Klima Brasiliens fast 70% sind! Eine Beeinflussung des Verhaltens durch den Parasiten bei einer so hohen Infektionsrate wäre wirklich enorm.
Womit wir in das Reich der nicht unumstrittenen Beobachtungen kommen. Aufgrund von Korrelationsstudien zwischen Ländern konnte Lafferty zeigen, dass das Vorkommen von Neurotizismus in vielen Ländern mit dem Level an Toxoplasma-Infektionen korreliert. In Ländern mit einer hohen Infektionsrate war auch eher eine männliche Orientierung der Gesellschaft auf Arbeit, und Geld statt Menschen und Beziehungen festzustellen.
Wie gesagt, hierbei handelt es sich nur um Korrelationen, und es steht keinesfalls fest, dass eine Infektion eines Menschen direkt dessen Verhalten beeinflusst. Schließlich könnte es sich hier auch einfach um einen Zufall handeln, bei dem die äußeren Bedingungen wie das Klima, die eine Infektion mit Toxoplasma fördern, auch bestimmtes menschliches Verhalten bevorzugen. Trotzdem ist das ein sehr spannender Gedanke, dass ein einfacher Parasit, der eigentlich gar nicht in den Menschen will, ganze Gesellschaften beeinflussen könnte!


[1] Demnächst vielleicht dann auch Medizin der mittleren Breiten. Die Tigermücke Aedes albopictus, Vektor von Viruserkrankungen wie Chikungunya und dem Gelbfieber, hat es schon über die Alpen geschafft.
[2] Mittlerweile ebenfalls etabliert sind Brassinosteroide und Jasmonate.
[3] Diese Gene sind aber in den Apicomplexa inaktiv. Dort wo die sich aufhalten (im Körper anderer Tiere) kommt eh nicht so viel Licht an.
[4] in lang wäre das 1-Deoxy-D-Xylulose-5-Phosphat/2C-Methyl-D-Erythritol-4-Phosphat-Weg. Darum lieber die Abkürzung...

Kisaburo Nagamune, Leslie M. Hicks, Blima Fux, Fabien Brossier, Eduardo N. Chini, L. David Sibley (2008). Abscisic acid controls calcium-dependent egress and development in Toxoplasma gondii Nature, 451 (7175), 207-210 DOI: 10.1038/nature06478
Kevin D. Lafferty (2006). Can the common brain parasite, Toxoplasma gondii, influence human culture? Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 273 (1602), 2749-2755 DOI: 10.1098/rspb.2006.3641

3 Kommentare:

derele hat gesagt…

Ganz groß! Ich wünschte ich könnte nen ähnlichen Post "umgekehrt" schreiben: was uns Forschung an Parasiten über Pflanzen sagt...ich werd mich mal umschauen!

Chlamydien als Endosymbionten von Pflanzen wär n Ansatz... was mit Kern wär mir natürlich noch lieber:-)

Anonym hat gesagt…

Schöne Entdeckung mit den doppelten Endosymbionten.

Aufgrund von Beobachtungen bin ich ja zu dem Schluss gekommen, dass in den Köpfen der meisten Menschen kein Gehirn sitzt, sondern ein einzelliger Endosymbiont...

Argent23 hat gesagt…

Es geht sogar noch weiter mit den Endosymbiosen. Es gibt ein paar Dinoflagellaten, die tragen einen tertiären Endosymbionten mit sich rum...