Dienstag, März 20, 2007

können stumme Mutationen Gebärdensprache?

Immer diese Zufälle: genau an dem Tag, an dem ich die erste Sequenzierung während meiner Diplomarbeit zurück bekomme (sie war OK), sehe ich zufällig nen kurzen Artikel auf den Seiten des Seed Magazine: stumme Mutationen, zumindest was SNPs betrifft, sind nicht unbedingt stumm.
Erst mal kurz zur Erklärung: was ist mit stummen Mutationen gemeint? Wenn während der Translation die genetische Information von der mRNA in Protein übersetzt wird, codieren immer genau 3 Nucleotide (was man als Codon bezeichnet) aus der mRNA für eine Aminosäure. Das hat nun aber als Folge, dass 64 Codons nur 20 Aminosäuren gegenüberstehen, es müssen also mehrere Codons die gleiche Aminosäure codieren. In der Regel ist dies im genetischen Code so gelöst, dass besonders die dritte Base im Codon unterschiedlich sein kann, ohne dass es zum Einbau einer anderen Aminosäure kommt. Und von hier ist es jetzt nur noch ein kleiner Schritt zur stummen Mutation: Wenn durch eine Mutation die dritte Base eines Codons geändert wird, dann hat dies in den meisten Fällen keinen Einfluss auf die eingebaute Aminosäure, das Protein wird identisch zusammengebaut. Und da die natürliche Selektion auf der Ebene des Phänotyps agiert, kann sie keinen Unterschied zwischen keiner Mutation und einer stummen Mutation feststellen. Dachte man zumindest bisher...
In einer Arbeit von Kimchi-Sarfaty et al. wurde nämlich festgestellt, dass stumme Mutationen im Gen für MDR1 einen Effekt zeigen: MDR1 steht für Multi Drug Resistance und ist ein Membranprotein, das viele Medikamente, unter anderem Chemotherapeutika, aus der Zelle schleust. Darum ist dieses Gen in vielen Krebsarten mutiert. Was die Gruppe feststellte war nun aber, dass eine bestimmte MDR1-Variante mit ausschließlich stummen Mutationen die Medikamente besser als das Wildtyp-Gen aus der Zelle schleuste. Was eigentlich gar nicht sein dürfte!
Die Erklärung für dieses Phänomen bezeichnet man nun als "translational pausing", denn es hat in diesem Fall schon mit der Translation zu tun. Kimchi-Sarfaty et al. vermuten, dass es durch die unterschiedlichen Codons zu unterschiedlich großen Geschwindigkeiten beim Einbau der entsprechenden Aminosäure kommt. Und diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten übersetzen sich in eine minimal andere Faltung des Proteins - was die biochemischen Eigenschaften dann letzten Endes verändert.

Das wirft dann aber die Frage auf: Wie groß ist der Einfluss von "stummen" Mutationen auf die Evolution? Könnte sich hier vielleicht ein erster, noch recht schwacher Ansatzpunkt für die Selektion bieten? Und, um den Bogen zum ersten Satz zu schlagen: Was, wenn ich in Zukunft eine stumme Mutation bei einer Sequenzierung finde? Kann ich es mir dann erlauben, trotzdem zu Transformieren, und Vergleiche mit dem Wildtyp zu ziehen? Oder soll ich doch noch mal für ein paar Wochen rumklonieren?
Und wo jetzt manche Leute vielleicht rummeckern würden, dass die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten unter falschen Voraussetzungen arbeitet, finde ich so etwas gerade spannend, weil bisher wohl wirklich niemand damit gerechnet hat. Mal sehen was sich mit dem Thema noch ergibt!

Kimchi-Sarfaty, C. et al. (2007): A "silent" polymorphism in the MDR1 gene changes substrate specificity. Science 315(5811):525-8.

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