Sonntag, Februar 15, 2009

Alles Gute nachträglich, Charles!

Leider stand letzte Woche soviel anderes Zeug an, dass ich keine Zeit für einen Post an Charles Darwins Geburtstag hatte. Anstatt jetzt nachträglich über einen Mann zu schreiben, über den in den letzten Wochen bereits so unheimlich viel geschrieben wurde, dass es des meisten wohl zum Hals raushängt [1], will ich kurz über ein Ereignis berichten, das letzten Donnerstag pünktlich zum Darwin Day stattfand.

Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat in einer Pressemeldung (Streaming-Video) die Entwurfsequenz des Neanderthalergenoms bekannt gegeben. Das ist erstmal ein wenig bedenklich, denn das Ankündigen von Ergebnissen in der Presse vor einer vollwertigen Publikation in einem peer review-Journal ist kein vorbildliches Handeln für einen Wissenschaftler. Hier kann man aber zumindest ein Auge zudrücken, denke ich - der Termin an Darwins Geburtstag war einfach zu verlockend, außerdem erfolgte die Pressekonferenz simultan auch auf dem Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS), die unter anderm das Science Magazine herausgibt. Trotzdem, ein komisches Gefühl in der Magengegend bleibt.
Davon mal abgesehen ist das Ganze natürlich sehr spannend. Erst vor drei Jahren kündigte Svante Pääbo von der Abteilung Evolutionäre Genetik des MPIs an, das Neanderthalergenom sequenzieren zu wollen. Dies ist nur deshalb in so kurzer Zeit möglich (zur Erinnerung: die Arbeiten für das Humangenomprojekt in den 90ern dauerten rund 10 Jahre), weil mittlerweile neue, schnellere Sequenziermethoden zur Verfügung stehen. Diese sog. Sequenziertechnologien der zweiten Generation leiden aber alle an dem Problem, dass sie nur sehr kurze Sequenzstücke (20-50 Basenpaare) produzieren. Und hier hilft dann die harte Vorarbeit des Humangenomprojekts, denn mit dem menschlichen Referenzgenom lässt sich das Neanderthalergenom auch mit sehr kurzen Sequenzen zusammensetzen. Man erwartet nur sehr wenige Unterschiede zwischen den zwei Genomsequenzen, die Genome von Mensch und Schimpanse sind schließlich schon sehr ähnlich.
Um an Neanderthalersequenzen zu kommen, müssen jedoch erstmal mehrere Probleme vermieden werden. Verunreinigungen der Proben mit menschlicher DNA der beteiligten Forscher wären fatal, deshalb mussten die Neanderthaler-Proben in Reinraumbedingungen bearbeitet werden. Trotzdem lagen die Knochen sehr, sehr lange im Boden rum, die Proben enthalten darum jede Menge mikrobiolle DNA. Die wurde natürlich zunächst mitsequenziert, konnte aber dank bioinformatischer Methoden wieder entfernt werden: Bakterielle Genome sind im Vergleich mit dem menschlichen sehr klein, und es wurden bereits viele sequenziert. Indem die Leipziger Forscher ihre Sequenzen mit bakteriellen Genomsequenzen verglichen, konnten sie Verunreinigungen in ihren Daten erkennen und diese dann verwerfen. Diese Verunreinigungen machen ca. 90% des sequenzierten Materials aus! Wenn man dann noch bedenkt, dass die Gruppe um Svante Pääbo bei der DNA-Isolierung wegen fehlerhafter Protokolle ca. 99% Verlust hatte, dann ist es schon erstaunlich, wie weit sie in der kurzen Zeit gekommen sind.

Es muss aber ausdrücklich betont werden, dass es sich bestenfalls um eine erste Entwurfsequenz handelt. Ungefähr 60% des Genoms sind sequenziert, das aber nur einmal. Um sich gegen methodische Fehler der Sequenzierungstechnologien zu schützen, sollte jedes Nukleotid in einer Genomsequenz aber mehrmal sequenziert werden (die menschliche Referenzsequenz hat übrigens 12x Abdeckung). Ein weiteres Problem sind Sequenzunterschiede zwischen Individuen einer Art. Um die Variabilität der Genomsequenz einer Art einschätzen zu können, sollten möglichst viele individuelle Sequenzen vorhanden sein. Dies ist beim menschlichen Genom gerade im Gange, etwa mit dem Personal Genome Project oder dem 1000 Genomes Project. Sogar das erste menschliche Referenzgenom stellt in Wirklichkeit eine Mischung aus den Sequenzen von zwölf anonymen Individuen dar. Demnächst soll aber auch die Sequenzierung weiterer Neanderthaler-Proben beginnen, so dass dieses Problem wohl irgendwann behoben sein sollte.
Ein großes Problem soll auch nicht ungenannt bleiben: Durch das große Alter der Proben ist die DNA stark fragmentiert; es ist darum sehr wahrscheinlich, dass wir nie die komplette Genomsequenz des Neanderthalers erhalten werden.

Trotzdem ist es bereits mit diesen ersten Daten möglich, interessanten Fragen über das Verhältnis von Homo sapiens und Homo neanderthalensis nachzugehen. In weiten Teilen Europas lebten beide Menschenarten für mehrere tausend Jahre nebeneinander. Kam es zu einer Hybridisierung, also zu gemeinsamen Nachkommen beider Arten? Hat der heutige Mensch vielleicht sogar Neanderthaler als Vorfahren? Die bisherigen Sequenzdaten (beruhend auf mitochondrialen Sequenzen und dem Y-Chromosom) deuten eher in Richtung Nein.
Die Ausprägung des Gens MC1R (Melanocortinrezeptor 1), das das Ausmaß der Hautpigmentierung beeinflusst, zeigte, dass es möglicherweise auch hellhäutige und rothaarige Neanderthaler gab (Lalueza-Fox C et al (2007), Science 318:1453-5).

Abschließen möchte ich diesen Post mit (ja, richtig geraten) - einem Podcast! Vor ungefähr zwei Jahren, also noch relativ früh im Neanderthalergenomprojekt, wurde Svante Pääbo zusammen mit Thomas Jarvie (von 454 Life Sciences, die die Sequenziertechnologie zur Verfügung stellen) im immer guten Futures in Biotech Podcast interviewt [MP3-Link]. Ich habe das Interview seitdem nicht mehr gehört, werde aber vielleicht noch mal reinhören. Mal sehen, wie Pääbos Pläne von vor zwei Jahren mit der tatsächlichen Entwicklung mithalten konnten.

[1] Die öffentliche Aufmerksamkeit, die Darwin und Evolution gerade genießen ist sicher richtig und gut, aber ich freu mich auf die nächsten, ruhigeren Wochen. Bis es im Spätjahr dann mit dem 150jährigen Jubiläum der Origin-Veröffentlichung wieder rundgeht.

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