Donnerstag, Januar 15, 2009

Wieso man zumindest naturwissenschaftliche Kenntnisse der Mittelstufe haben sollte, wenn man medizinische Pressemitteilungen herausgibt...

...oder: Gene, Gene, Gene und die böse junk DNA!



Dies ist mal wieder ein gutes Beispiel dafür, warum ich normalerweise verzichte, Pressemeldungen zu lesen. Eine Forschergruppe hat in einem aktuellen Paper in Nature gezeigt, dass eine microRNA (miR-21) zur Erkrankung der Herzmuskelschwäche beitragen kann. Das interessante daran ist, dass sie eine Verbindung zwischen einem der vielen Gene Silencing-Mechanismen und einer menschlichen Erkrankung zeigen konnten. Wohlgemerkt, diese Verbindung ist schon länger bekannt, wie die Autoren selbst schon im Abstract des Artikels schreiben. Soweit ist alles noch in Ordnung.

Aber was macht die Pressestelle des an der Arbeit beteiligten Rudolf-Virchow-Zentrum daraus?
"Genetischer Müll" löst Herzmuskelschwäche aus

Würzburg, 30.11.2008. Winzige Bruchstücke des Erbguts - so genannte "micro-RNAs", die bis vor kurzem als unwichtig galten, könnten jetzt die Prävention, Diagnose und Therapie der Herzmuskelschwäche revolutionieren. Würzburger Forscher fanden eine solche erstmals im Herzen, blockierten sie und konnten damit nicht nur gefährdete Mäuse vor dem Ausbruch der Erkrankung schützen, sondern auch an Herzmuskelschwäche erkrankte Mäuse heilen. Die Ergebnisse beschreiben die Wissenschaftler der Universität Würzburg in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature.
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms brachte eine überraschende Nachricht mit sich: Nur ungefähr 1,5 Prozent der gesamten genetischen Information wird für die Herstellung unserer Proteine benötigt, wobei die Gene über eine Art Kopie, die Boten-RNA, in Proteine umgeschrieben werden. Der Rest der Gene galt lange als bedeutungsloser "genetischer Müll", weil deren RNA ohne nennenswerte Funktion sei. 2006 wurde jedoch für die Entdeckung, dass RNAs, aus denen keine Proteine entstehen, auch wichtige Aufgaben im Körper besitzen den Medizin-Nobelpreis verliehen [sic]. Diese RNA-Stücke regulieren die Bildung der Proteine über Bindung an die Boten-RNA direkt. Geht hier etwas schief, produziert der Körper also beispielsweise zu viel oder zu wenig Proteine, gerät die Körperzelle aus dem Gleichgewicht - Krankheiten entstehen.
Die Pressemeldung geht noch weiter, befasst sich mit diesem doch scheinbar so hochinteressanten Thema aber nicht mehr. Vielleicht, weil in der Pressestelle nichts tiefschürfenderes als dieses oberflächliche Blabla bekannt war?
Gehen wir das Ganze doch von vorne nach hinten durch. Der Titel ist schon super, "Genetischer Müll" gleich in scare quotes, und irgendwie klingt es so, als ob endlich der ultimative Grund der Herzmuskelschwäche gefunden wäre. Auf den genetischen Müll, also die junk DNA, möchte ich gleich ausführlicher eingehen, jetzt wird erst mal diese Meldung zerpflückt.
Erster Satz - microRNAs (schon wieder scare quotes) sind keineswegs "Bruchstücke des Erbguts", und sie galten auch nicht bis vor kurzem als unwichtig. Vielmehr werden microRNAs genauso wie alle anderen Gene (also auch die, die für Proteine kodieren) zunächst mal transkribiert, d.h. es wird eine Abschrift des Gens in Form einer RNA hergestellt. Bei proteinogenen Genen nennt man diese RNA dann mRNA (messenger RNA). Bei Genen für microRNAs, nunja, microRNA halt. Wären es wirklich Bruchstücke der DNA wäre es einerseits microDNA, und andererseits wäre die Zelle tot (Chromosomen zerbrochen und so). Eine schnelle Suche bei Pubmed ergibt außerdem, dass mindestens seit 2001 über microRNAs geschrieben wird - keineswegs "vor kurzem" also. Nehmen wir nicht nur diese Subfamilie der regulatorischen RNAs, sondern den gesamten Prozess des gene silencing, dann wird die Aussage noch lächerlicher. Über post-transcriptional gene-silencing wird dann auch schon seit 1955 geschrieben (mit bisher fast 19000 veröffentlichten Artikeln), und auf der Informationsseite für den (im Pressetext ja ausdrücklich erwähnten) Nobelpreis (Fire und Mello, 2006) wird direkt Bezug genommen auf Arbeiten in Pflanzen und Pilzen von 1990.
Im zweiten Absatz geht es dann munter so weiter. Da widerspricht sich der Text erstmal heftig. Einerseits sollen nur 1,5% des Genoms Gene sein ("für die Herstellung unserer Proteine benötigt"), andererseits ist das restliche Genom aber wohl voll von Genen ("Der Rest der Gene")!

Dieser Satz ist sowieso voll von Fehlern:
Der Rest der Gene galt lange als bedeutungsloser "genetischer Müll", weil deren RNA ohne nennenswerte Funktion sei.
Also, keine Definition was ein Gen ist. Eigentlich sogar das Eingeständnis, seit der 7. Klasse nicht mehr im Bio-Unterricht aufgepasst zu haben. Wörtlich genommen geht der Verfasser wohl davon aus, dass diese 98,5% des Genoms (weil sie ja angeblich Gene sind), auch in RNA umgeschrieben werden. Dies passiert zum allergrößten Teil aber nicht - das Genom ist transkriptionell überwiegend tot. Noch wichtiger, bisher hat noch niemand behauptet, dass eine einmal hergestellte RNA keine Funktion habe [1].

Jetzt aber zur junk DNA. Wann immer in den letzten Jahren jemand einen Effekt gefunden hat, der nicht dem Schema Gen - mRNA - Protein folgt, hat er gleich die böse junk DNA ausgepackt. Demnach sind ja alle anderen Molekularbiologen so beschränkt, dass die alles im Genom, was nicht diesem einfachen Schema entspricht, als genetischen Müll abtun, der völlig unnötig rumliegt und die Suche nach Genen erschwert. Jetzt kommt aber der Underdog, der mit seiner tollen neuen Entdeckung dem engstirnigen wissenschaftlichen Establishment entgegentritt. Klar, dass so eine Darstellung von den Medien gerne aufgegriffen wird.
Mit dieser Sichtweise gibt es nur ein Problem: Sie ist falsch, und das schon fast so lange, wie wir überhaupt wissen dass es Gene gibt und dass die DNA das Erbmaterial in der Zelle ist. Nur wenige Jahre nach der Beschreibung der DNA-Struktur durch Watson und Crick 1953 wurde die Translation in ihren Grundzügen aufgeklärt, also das Herstellen von Proteinen aus der Information der mRNA. Hier war aber schon klar, dass für diesen Prozess RNAs benötigt werden, von denen keine Proteine produziert werden: die tRNAs und die rRNAs. Auch das lernt eigentlich jeder in der Schule. Die Grundannahme, nicht-kodierende RNAs mit einer Funktion in der Zelle wären erst seit ein paar Jahren bekannt, ist also nicht nur falsch - diese RNAs gehören zum Establishment!

Das ist der eine Aspekt. Die andere Seite hat mit der Definition des Begriffs junk DNA zu tun. Zunächst mal ist nicht alles "Müll", von dem wir die Funktion nicht kennen. Mit junk DNA werden Elemente im Genom bezeichnet, die nachweislich keine Funktion haben! Der Nobelpreisträger Sydney Brenner gibt in diesem Video auf iBioSeminars (ab ca. 11:20) ein sehr gutes Beispiel. Die Alu Sequenz mit einer Länge von etwa 300 Basenpaaren kommt im menschlichen Genom in mehreren Millionen Kopien vor; sie macht damit je nach Schätzung zwischen 10 und 30% des gesamten menschlichen Genoms aus! Funktion? Fehlanzeige! Letzten Endes sind Alu-Elemente Parasiten von genetischen Parasiten.
Sogenannte Transposons sind genetische Elemente, die bestimmte Sequenzen an ihren Enden tragen und dazwischen Gene kodieren, deren Proteinprodukte diese Endsequenzen erkennen und dort Schnitte in die DNA setzen. Ein Transposon kann so per cut and paste von einer Stelle im Genom an eine andere wandern. Einen Nutzen für das Wirtsgenom hat das erstmal keinen, Transposons nutzen es nur als Transportvehikel. Alu-Elemente und andere, ähnliche Sequenzen gehen dabei noch einen Schritt weiter: Um selbst Gene zu tragen sind sie zu klein. An ihren Ende besitzen sie aber auch die Sequenzen, die von den Transposonproteinen erkannt werden. Alu-Elemente sind also ehemalige Transposons, die sich den Aufwand mit den Genen gespart haben und ihre noch funktionsfähigen Transposonkollegen ausnutzen. Wiederum aber kein direkter Nutzen für die Wirtszelle.
Larry Moran hat in den letzten Monaten verschiedenste Elemente im menschlichen Genom aufgelistet, die gesichert keine Funktion besitzen, also unter junk DNA fallen. Die Alu Elemente sind auch dabei (zu finden unter SINEs). Insgesamt ist er jetzt schon, ohne alle Arten von funktionslosen Elementen im Genom genannt zu haben, bei über 50% des Umfangs des Genoms - und das ist eine sehr zurückhaltende Schätzung!
In dem oben genannten Video weist Sydney Brenner auch auf ein weit verbreitetes Missverständnis hin, was den Begriff junk DNA angeht. Mit junk wird nämlich im Englischen keineswegs der Müll gemeint, den man wegwirft. Eine bessere Übersetzung wäre wohl das Wort Gerümpel; laut Brenner Dinge, die man gerade nicht brauchen kann, die man deshalb auf dem Dachboden lagert.
Most of the genome appears to be unneccesary; it is - if you like - call it rubbish. Now as you well know, there are two kinds of rubbish: The rubbish you keep, which we call junk, and the rubbish we throw away, which we call garbage.

Dieses Verständnis von junk DNA löst dann auch eine häufig gegen sie gerichtete Kritik in Wohlgefallen auf: Nur weil aktuell kein Nutzen für diese Elemente vorhanden ist, heißt das noch lange nicht, dass diese Sequenzen nicht irgendwann mal benutzt werden können!


[1] von der aktuellen Diskussion über stochastische Transkription und dem Nutzen der so hergestellten RNA mal abgesehen.

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