Donnerstag, August 14, 2008

Was hat ein Brustkrebsgen mit der Entwicklung von Sprossachsen von Pflanzen zu tun?

Gute Frage. Die hab ich mir auch gestellt, als mir vor kurzem ein neues Paper von Pei Han und Kollegen in die Hände gefallen ist. Ich hab aber noch einen kleinen Vorsprung. Wahrscheinlich haben sich nämlich gerade die meisten eine noch grundlegendere Frage gestellt: Was hat denn bitte ein Brustkrebsgen generell in einer Pflanze zu suchen?!? Pflanzen kriegen keine Krebserkrankungen, Brustkrebs schon mal gar nicht!

Ich werd deshalb erst mal mit dem Brustkrebsgen loslegen. In etwa 10% aller Brustkrebserkrankungen können Mutationen im Gen BRCA1 (breast cancer gene 1) festgestellt werden. Betrachtet man nur erbliche Formen von Brustkrebs, ist der Anteil sogar noch größer [1]. Die Bezeichnung Brustkrebsgen ist aber eigentlich irreführend: Zwar wurde das Gen aufgrund seiner Häufung in erblich bedingtem Brustkrebs gefunden, und danach benannt. Mutationen in BRCA1 findet man aber auch häufig bei Krebserkrankungen der Eierstöcke, des Dickdarms und der Prostata. Tatsächlich ist BRCA1 also ein Gen, das die Zellen generell vor Schäden an der DNA schützt, die zu Krebs führen können, und das durch seinen Ausfall die Bildung von Tumoren begünstigt. Diese Definition trifft auf eine ganze Reihe von Genen zu, die man zusammenfassend als Tumorsuppressorgene bezeichnet.
BRCA1 ist deshalb so wichtig für die Integrität der Zelle, weil es eine sehr wichtige Aufgabe in der Reaktion der Zelle auf schwere Schäden an der DNA wahrnimmt. DNA-Doppelstrangbrüche (DSBs) sind eine Art von Schaden, die für die betroffene Zelle nur sehr schwer zu reparieren sind. BRCA1 ist an einem Weg zur Reparatur von DSBs beteiligt, der keine Mutationen erzeugt - der homologen Rekombination (HR). Es nimmt in diesem komplexen Durcheinander von Subwegen eine interessante Stellung ein, weil man es gleich in mehreren davon finden kann. Die Aufgabe von BRCA1 ist dabei wie es aussieht die eines Signalgebers: Es kann an verschiedene andere Proteine ein Signalmolekül anhängen, das kleine Protein Ubiquitin. Welche Proteine genau das Ziel von BRCA1 sind ist noch nicht geklärt, und auch nicht was die Folgen des Anfügens von Ubiquitin sind [2].
Soviel zu BRCA1, obwohl ich doch eigentlich über ein ganz anderes Protein schreiben will, BARD1. Das ist aber gar nicht so schlimm, denn BRCA1 und BARD1 (breast cancer associated RING domain) arbeiten zusammen in der Funktion, Ubituitine auf andere Proteine zu übertragen. Und weil man über BRCA1 mehr weiß und es bekannter ist, hab ich einfach damit angefangen.

Nachdem also geklärt ist, was über BRCA1 und BARD1 als Brustkrebsgen im Menschen so bekannt ist, springen wir in die Organismen, mit denen ich arbeite, den Pflanzen. Und die Frage, warum ein Brustkrebsgen in Pflanzen zu finden ist, kann nun auch leicht beantwortet werden: Auch wenn Pflanzen keinen Krebs bekommen können, müssen sie sich trotzdem vor Schäden an ihrer DNA schützen. Und die DNA-Reparatur ist so grundlegend, dass man fast alle der zentralen Proteine in den bisher untersuchten Organismen findet, auch in Pflanzen. So gibt es eben auch BRCA1 in Pflanzen [3]. Kollegen von unserem Institut konnten vor zwei Jahren zeigen, dass auch BARD1 in Pflanzen vorkommt, dass es zusammen mit BRCA1 arbeitet und dass es Regulationsfunktionen bei der DNA-Reparatur wahrnimmt (Reidt et al., 2006).

Machen wir nun mal einen kleinen Ausflug in Aufbau und Entwicklung von Pflanzen. Wie in Tieren findet man auch in Pflanzen Stammzellen, also undifferenzierte Zellen, aus denen verschiedenste Zelltypen hervorgehen. Sie sitzen in spezialisiertem Gewebe, von dem das Wachstum der Pflanze ausgeht, dem sog. Meristem. Meristeme gibt es demnach beispielsweise in der Wurzel- und Sprossspitze oder den Blüten. Das Sprossspitzenmeristem (shoot apical meristem, SAM) ist schon im Embryo der Pflanze zwischen den Keimblättern angelegt; aus ihm gehen alle pflanzlichen Organe über dem Boden hervor, also Sprossachse, Blätter, Blüten etc. Das SAM ist in mehreren Zonen organisiert, ganz im Zentrum davon liegen die undifferenzierten Stammzellen. Die Identität dieser Zonen wird durch komplexe Signalwege aufrechterhalten. So regulieren die 3 CLAVATA (CLV) Gene die Größe der Stammzellzone. CLV1 und 2 sind Rezeptoren, und CLV3 ein Ligand dieser Rezeptoren. Durch Bindung von CLV3 an CLV1/CLV2 wird eine Signalkette ausgelöst, die die Zellen außerhalb der Stammzellzone zur Differenzierung anregt. Dies geschieht indirekt über das Gen WUSCHEL (WUS). Das verhindert nämlich erst mal im ganzen Meristem die Differenzierung der Stammzellen. Da die CLV Gene aber die Aktivität von WUS außerhalb der Stammzellzone stören, kommt es dort dann zur Ausdifferenzierung der Zellen.

Und nach dieser doch recht langen Einleitung will ich dann doch auch endlich zu dem im ersten Satz angesprochenen Paper kommen. Pei Han und Kollegen haben nämlich bemerkt, dass in Arabidopsis-Pflanzen, in denen BARD1 ausgeschaltet wurde, Defekte im SAM auftreten - weil die WUS-Aktivität nicht mehr auf die Stammzellzone beschränkt ist. Und da sitzt man als Mensch der DNA-Reparatur und -Rekombination erst mal baff da. Nach allem, was wir bisher von BRCA1/BARD1 wussten (und zwar auch im Menschen), hat es eben damit zu tun: Schaden an der DNA, BRCA1/BARD1 werden aktiv und helfen bei der Reparatur, und dann ist wieder Ruhe. Dass jetzt eine grundlegende Funktion in der Entwicklung von Pflanzen dazu kommt ist dann doch etwas überraschend [4].

Wachstum von Arabidopsis-Pflanzen, Wildtyp (links) und bard1-Mutante (rechts).
obere Zeile: 3 Wochen alte Pflanzen im Vergleich, Wildtyp links (I) und bard1-Mutante rechts (K)
untere Zeile: Dünnschnitte durch das SAM drei Wochen alter Pflanzen, ebenfalls wieder Wildtyp links (J) und bard1-Mutante rechts (L)
Die Bilder stammen aus Abbildung 1 von Han et al. (2008).
In der Abbildung oben kann man gut sehen, dass die Mutantenlinie, in der BARD1 ausgeschaltet wurde, ein ziemliches Problem im Wachstum hat. Und auch das SAM ist nicht so ausgebildet, wie man es aus dem Wildtyp gewohnt ist. Die Forscher konnten auch zeigen, dass die Expression von WUS, das normalerweise auf die Stammzellzone beschränkt ist, in der bard1-Mutante nur noch in den äußersten Zellschichten des SAM zu finden ist.
Lokalisation der WUS mRNA im SAM. In Wildtyp-Pflanzen ist WUS nur im Zentrum des SAM, in der Stammzellzone, zu finden (B), in der bard1-Mutante jedoch ausschließlich in den äußeren Bereichen und nicht mehr in der Stammzellzone (D).
Die Bilder stammen aus Abbildung 1 von Han et al. (2008).
Durch weitere Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass BARD1 an einer bestimmten Stelle im Promotor von WUS bindet. Im Promotor von Genen befinden sich regulatorische Sequenzen, an die Proteine wie Transkriptionsfaktoren binden und die Aktivität des Gens (also die Menge an hergestellter mRNA) regulieren. Das erwartet man aber nicht von einem Protein wie BARD1, das Ubiquitine auf andere Proteine überträgt.
Die Gruppe hat natürlich auch mehrere Kontrollexperimente durchgeführt, um diese Beobachtungen abzusichern. So ergab auch die Verwendung von RNAi gegen BARD1 als alternativer Methode zum Ausschalten eines Gens ähnliche Ergebnisse. Kreuzten sie wus-Mutanten mit der bard1-Mutante, so traten Defekte wie in der ersten Abbildung gezeigt nicht mehr auf. Und, je mehr BARD1-Protein in der Zelle vorhanden ist, desto weniger des WUS-Gens findet sich. Es kann also als gesichert gelten, dass der beobachtete Effekt wirklich auf BARD1 und WUS zurückzuführen ist.
Aber wie, und warum? Dazu können die Autoren bisher erst Vermutungen liefern. Leider haben sie nicht überprüft, ob BARD1 am WUS-Promotor tatsächlich wie ein Transkriptionsfaktor wirkt und direkt die Herstellung der mRNA reguliert. Sie vermuten eher, dass der Teil des Chromosoms, auf dem das WUS-Gen liegt, eine sehr komprimierte Form einnimmt, was die Transkription hindert. Da ein Protein namens SYD, das den Komprimierungsgrad von DNA reguliert, sowohl an der gleichen Stelle wie BARD1 an den WUS-Promotor bindet, als auch direkt mit BARD1 interagiert, scheint BARD1 wohl auch mit der Regulation der Chromosomenstruktur zu tun zu haben.

So, langer Post (ich glaube mein bisher längster) über ein für mich sehr überraschendes Paper. Auch wenn es für euch wahrscheinlich nicht so überraschend war, habe ich auf diese Weise aber auch gleich über das wichtige Thema BRCA1/BARD1 schreiben können, was ich sowieso demnächst gemacht hätte. Und über das SAM und wie es reguliert ist habe ich nebenbei auch noch etwas gelernt!

[1] Das Risiko für Frauen, die erblich bedingt Mutationen in BRCA1 besitzen, während ihrer Lebenszeit an Brustkrebs zu erkranken, liegt je nach Quelle (OMIM, DKFZ) bei 80-92%.
[2] Normalerweise ist das Anfügen von langen Ketten von Ubiquitin an Proteine ein Abbausignal für die Zelle. Die so markierten Proteine werden in einem großen Proteinkomplex, dem Proteasom, zu kleinen Fetzen geshreddert. Gerade im Bereich der DNA-Reparatur wurden aber schon ein paar Proteine gefunden, die nur einige wenige Ubiquitine angehängt bekommen statt einer langen Kette. In dem Fall verändern sich die Eigenschaften des Proteins, und es wird nicht abgebaut.
[3] Wenn ich hier von Pflanzen spreche, dann meine ich eigentlich den Modellorganismus für Pflanzen, die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Wie es bei den restlichen Pflanzen mit BRCA1 aussieht weiß ich nicht, die sinnvollste Vermutung ist aber erst mal, dass es bei denen auch vorkommt.
[4] Natürlich gibt es auch Mutanten der DNA-Reparatur, die Wachstumsstörungen des Organismus zur Folge haben. Das hängt aber damit zusammen, dass während der Zellteilung Probleme auftreten können die repariert werden müssen. Das ist aber hier nicht der Fall, es geht um die Aktivität eines anderen Gens!

P. Han, Q. Li, Y.-X. Zhu (2008). Mutation of Arabidopsis BARD1 Causes Meristem Defects by Failing to Confine WUSCHEL Expression to the Organizing Center THE PLANT CELL ONLINE, 20 (6), 1482-1493 DOI: 10.1105/tpc.108.058867
Wim Reidt, Rebecca Wurz, Kristina Wanieck, Hoang Ha Chu, Holger Puchta (2006). A homologue of the breast cancer-associated gene BARD1 is involved in DNA repair in plants The EMBO Journal, 25 (18), 4326-4337 DOI: 10.1038/sj.emboj.7601313
Übrigens: beide Paper sind frei erhältlich - Hurra für Open Access!

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